Mehr Wasserkraft für Nürnberg

Veröffentlicht am 2. Mai 2023
Zuletzt aktualisiert am: 5. Juni 2024

Es rauscht, gluckert und spritzt: Kleine Wassermühlen gab es schon vor über 500 Jahren an der Pegnitz in der Nürnberger Altstadt. Heute können diese kleinen Wasserkraftwerke Strom produzieren. Können sie auch unseren Energiehunger stillen? Die Antworten liefert unser Redakteur Heinz Wranschitz.

Wasserräder haben für viele Menschen etwas Romantisches. Heutzutage kann man damit auch Strom produzieren. Das ginge selbst in Nürnbergs Altstadt. Und nun macht ein juristisches Gutachten Hoffnung auf mehr solch kleiner Wasserkraftwerke: Wie solche für Wind- oder Solarenergie lägen auch sie „im überragenden öffentlichen Interesse“.

Der Wasserkraftverband Mitteldeutschland e.V. (WKVM) hat eine Rechts-Studie zum neu formulierten §2 im Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG erstellen lassen. Das Ergebnis nach Verbandsangaben: es gebe gute Chancen, mit dem Aus- und Neubau solch kleiner Wasserkraftwerke noch mehr zur CO2-freien Stromerzeugung hierzulande beitragen zu können.

Wasser strömt über ein Wasserrad
Im Trubachtal, Fränkische Schweiz, steht ein oberschlächtiges Wasserrad, 2006 errichtet. Foto: Heinz Wraneschitz

Im vergangenen Jahr 2022 wurde im Bundestag darum gerungen, ob künftig die Klein-Wasserkraft überhaupt noch durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz unterstützt wird – am Ende siegten die Befürworter. Auf Grund dieser neuen Entwicklung hat der Wasserkraftverband Mitteldeutschland das Gutachten erstellen lassen. Denn in dem Bündnis sind Betreiber genau solch kleinerer Wasserkraftwerke vereint.

Bei der Vorstellung des Gutachtens im März 2023 dabei war auch Hans-Josef Fell. Er war im Jahre 2000 als Bundestagsabgeordneter der Grünen neben dem inzwischen verstorbenen Hermann Scheer (SPD), ein „Hauptvater“ des Erneuerbare-Energien-Gesetzes EEG. Mit der im Sommer 2022 in §2 eingebauten Ergänzung der EEG-Version 2023 ist Fell sichtlich zufrieden. Wie bei gesetze-im-internet.de nachzulesen, steht dort: EEG-Anlagen „liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden.“

Überragendes öffentliches Interesse der Erneuerbaren Energien: Für Hans-Josef Fell „gehört die Wasserkraft von Anfang an dazu“, wie er in der Online-Pressekonferenz des Wasserkraftverband Mitteldeutschland klarstellte. Natürlich „dürfen Fische nicht in Wasserkraftwerken verenden. Doch neue Anlagentechnik, zum Beispiel Wasserschnecken, ist fischdurchgängig und lässt sogar Leistungserhöhungen bestehender Standorte zu.“

Strom für 80.000 Einfamilienhäuser

Denn anders als bei den im Wesentlichen ausgenutzten Wasserkraft-Potenzialen an großen Flüssen oder Kanälen ist bei den „Kleinen“, also Bächen und Nebenflüssen noch einiges zu holen, da ist Martin Richter sicher, der Präsident des Wasserkraftverbands Mitteldeutschland. Konkret rechnete er vor: „Im mitteldeutschen Raum sind 170 Megawatt (MW) installiert. Und wir haben allein hier ein hohes Potenzial zum Ausbau: 86 MW brächten einen jährlichen Mehrertrag von 387 Gigawattstunden Grünstrom. Damit wäre es möglich, die Gas- und Ölheizungen von 80.000 Einfamilienhäusern durch Wärmepumpen zu ersetzen und rein erneuerbar zu versorgen.“

Martin Richters Hoffnung, das könne gelingen, hat jenes vom Wasserkraftverband Mitteldeutschland beauftragte Rechtsgutachten der in Energiefragen tätigen Leipziger Rechtsanwaltsgesellschaft Prometheus weiter verstärkt. Der Titel: „Potenzielle Auswirkungen des § 2 EEG auf den Ausbau der Wasserkraftnutzung“.
Einer der Autoren ist Christian Falke. Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht machte in der Pressekonferenz zwar deutlich, der in §2 EEG eingeführte „vorrangige Belang“ der Erneuerbaren Energien sei „kein Freifahrtschein“. Aber nach den Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVG der letzten beiden Jahre 2021 und 2022 sei „Klimaschutz Grundrecht. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen darf nicht irgendwann kommen, sondern jetzt. Hierfür schafft §2 EEG Durchschlagskraft.“

Vorfahrt für erneuerbare Energien

Bislang hätten die zuständigen Behörden die Erneuerung von Wasserkraftwerken eher ausgebremst, indem sie Fischaufstiege oder Aalrohre auch bei bestehenden Anlagen forderten. Nun aber, so Christian Falke, hätte die Energie Vorrang bei der Abwägung zur baurechtlichen Genehmigung von EE-Kraftwerken: „Gewässerökologie ist nicht nur Fisch“, machte der Fachanwalt deutlich; das so genannte „Bewirtschaftungsermessen“ müsse sich in Richtung der Erneuerbaren Energien – und damit auch konkret zur Wasserkraft – verschieben. Denn die Ökokraftwerke schüfen „Belange mit Art. 20a Grundgesetz vergleichbarem verfassungsrechtlichem Rang“, steht im Gutachten zu lesen.

Selbstverständlich sei laut Christian Falke auch bei Wasserkraft „ein angemessener Ausgleich zwischen den Schutzgütern zu schaffen. Aber jetzt ist eine Veränderung durch das überwiegende öffentliche Interesse begründet.“ Künftig gelte bei Bauanträgen für Wasserkraftwerke nicht mehr wie bisher ein Verbesserungsgebot, sondern ein Verschlechterungsverbot. Deshalb forderte der Jurist konkret: „Dank §2 EEG heißt es jetzt: Im Zweifel Vorfahrt für EE (erneuerbare Energien) “, also auch für Wasserkraft.

Weg mit Pseudoargumenten gegen Wasserkraftwerke“: Das will Verbands-Präsident Martin Richter durch „Sensibilisierung und Schulung der Beamten in den Behörden“ erreichen, von Ministerien bis zu Wasserwirtschaftsämtern. Anwalt Falke gab aber zu: „Das müssen die Menschen in den Behörden müssen das erst einmal verinnerlichen.“ Und das wohl nicht nur in Sachsen. Denn deutschlandweit gebe es 200.000 Querbauwerke, die zwar nicht alle für Wasserkraft geeignet seien, deren Energiepotenzial aber kaum bekannt oder bewusst sei. Diese Woche nun forderten deshalb zwei Bayerische Wasserkraftwerksverbände, „dem überragenden öffentlichen Interesse von Erneuerbaren-Energien-Anlagen endlich das notwendige Gewicht in Genehmigungsverfahren und anderen Verwaltungsentscheidungen einzuräumen.

Durch Nürnbergs Altstadt fließt die Pegnitz

Der Verlauf der Pegnitz im Stadtgebiet Nürnberg am heutigen Trödelmarkt – Reproduktion aus dem Pfinzing-Atlas von 1564, mit freundlicher Genehmigung des Staatsarchives Nürnberg , unten Mitte die “Krottenmühl”, später wohl als Krötenmühle bezeichnet. Reproduktion: Thomas Geiger

Das gilt auch für Nürnberg. Obwohl hier eigentlich das Potenzial für Wasserkraft im wahrsten Wortsinn offensichtlich und unüberhörbar ist: Es rauscht das Wasser lautstark über viele Wehre längs der Pegnitz, selbst in der Altstadt. Ungenutzt. Das war früher übrigens ganz anders. Im nicht mehr im Handel erhältlichen Buch „Räder im Fluss – die Geschichte der Nürnberger Mühlen“ aus dem Tümmels Verlag ist zu lesen: „Am Ende des 16. Jahrhunderts war die Pegnitz in Nürnberg vollständig zum Mühlenstrom geworden. … es existierten zwölf Mühlenanlagen mit zusammen 131 Wasserrädern.“ Auf der historischen Darstellung im Bayern-Atlas lässt sich das nur erahnen. Viele Wasserräder existierten noch bis kurz vor Ende des 2. Weltkriegs. Wie die ganze Altstadt, so wurden auch die Räder von Schwabenmühle oder Großweidenmühle durch die Bomben der Alliierten zerstört. Und später nicht mehr wieder aufgebaut.

Dagegen existieren die offiziell Querverbaue genannten Wehre bis heute; sie sind für die Regulierung der Pegnitz unbedingt notwendig. Es gibt sogar unterirdische Stauräume, damit sich solche Überschwemmungen wie im Jahre 1909 möglichst nicht wiederholen. Die Energie des Flusses wird jedoch innerhalb des Stadtmauerrings seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr ausgenutzt. Zwar haben Ehrenamtliche der Nürnberger Agenda-21-Bewegung um die Jahrtausendwende versucht, ihre Idee eines modernen Wasserrads mit Stromerzeugung am Katharinenwehr neben dem Schuldturm im Zentrum der Altstadt umzusetzen. Das kleine Kraftwerk sollte über Bürgerbeteiligung finanziert werden. Doch die damals genannten Auflagen der Genehmigungs- und Wasserbehörden hätten zu absolut unbezahlbaren Kosten geführt, also keinen auch nur annähernd wirtschaftlichen Betrieb ermöglicht.

Aktuelles Projekt verheißt Wirtschaftlichkeit

Nun aber will ganz aktuell ein offensichtlich nachhaltig wirtschaftender Unternehmer den Wiedereinstieg in die Wasserkraftnutzung schaffen. Wolfram Weber hat sich ab den 1970er Jahren als erfolgreicher Szene-Kinobetreiber einen Namen in der Region gemacht. Seit 1995 betreibt er das Multiplexkino Cinecittà, das nach und nach zum größten Kinokomplex Deutschlands anwuchs. Dort liegt bereits eine Solarstromanlage am Dach, die 350.000 Kilowattstunden (kWh) Strom pro Jahr produziert. Zwei Blockheizkraftwerke liefern ebenfalls Strom für den Komplex und sorgen über Wärmepumpen für Heizung im Winter und Klimatisierung im Sommer. Wärmerückgewinnung oder zukunftsgerichtete Bauweise hatten von Anfang an dafür gesorgt, dass der Energiebedarf des Gebäudes möglichst niedrig ist, wie Weber rückblickend erwähnt. Doch nun hat er vor, möglichst viel des bislang zugekauften Stroms ebenfalls noch selbst zu erzeugen: Eine Turbine am Nägeleinswehr beim Weinstadel soll etwa eine Million Kilowattstunden generieren, die per eigenem Kabel direkt in den Technikraum des Cinecittà transportiert werden. Ein großer Stromspeicher soll dafür sorgen, dass auch nachts, wenn der Verbrauch am Höchsten ist, trotzdem die eigenerzeugte Energie zur Verfügung steht. Denn je höher der Kaufstrom-Preis, umso schneller hat sich die Investition bezahlt gemacht.

Links das Gebäude des Cinecitta-Komplexes dahinter die Türme der Lorenzkirche und im Vordergrund der Fluss Pegnitz
Das Kino Cinecitta an der Pegnitz. Foto: Thomas Geiger

„Eigentlich wollten sie es einem ausreden“, denkt Wolfram Weber an die ersten Gespräche mit Stadtverwaltung und anderen zuständigen Behörden zurück. „Doch ich bin hartnäckig drangeblieben“, er habe das seit 2021 in der Oberpfalz liegende Wasserrecht erworben – und jetzt sei die Entwurfsplanung fertig, um die Vorabgenehmigung für das Kraftwerk am Nägeleinswehr tatsächlich zu beantragen und es dann zu bauen. 160 Kilowatt soll die Turbine maximal leisten, 11,6 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in Strom umwandeln. „Mit gnadenlosem Optimismus werden wir das schnell hinbekommen“, ist er überzeugt. Auch wenn davor noch fünf Bäume „falls sie überlebensfähig sind“ verpflanzt und der Platz, auf dem das kleine, achteckige Technikgebäude stehen soll, auf Kriegsbomben untersucht werden müssen. Aber am Ende soll dann auch jede:r sehen können, was am Nägeleinswehr passiert: „Man kann den oberirdischen Generator sehen, und es gibt Schaukästen“, verspricht Wolfram Weber.

Laut Auskunft aus dem Umweltamt Nürnberg wurde für diesen Standort „bereits im Jahr 2021 eine Wasserkraftanlage mit Fischaufstiegsanlage genehmigt, mit deren Errichtung bisher noch nicht begonnen wurde“. Wie erwähnt, will der Kinobetreiber dieser Tage dafür die Vorab-Baugenehmigung beantragen.

Ein Wasserrad im Trubachtal bei Egloffstein. Foto: Heinz Wraneschitz

Und vielleicht macht dann ja Webers Wasserkraft-Projekt anderen Aktiven Lust und Mut, die Energie Pegnitz auch an weiteren Wehren auszunutzen? Gerade in der Nürnberger Altstadt böte sich ja mit Blick auf die Historie geradezu an, hier Wasserräder zu bauen. Auch wenn sie vielleicht nicht so wirtschaftlich sind, wie die geplante Webersche Turbine. Denn anderswo stehen nicht wie zwischen Maxbrücke und Kettensteg zwei Meter Fallhöhe zur Verfügung.

Wenn Du noch mehr über das Thema alternative Energien in der Kulturszene lesen möchtest, dann empfehle ich Dir unseren Artikel: Kreative Energiekonzepte für Nürnbergs Kulturhäuser von Norbert Goldhammer.

Das Trubachtal macht es vor

Ein Beispiel könnte übrigens ein Projekt im Trubachtal in der Fränkischen Schweiz sein. Dort haben im Jahre 2006 Privatleute trotz kritischer Stimmen ein Wasserrad zur Stromerzeugung durchgesetzt. Heute ist nur noch von Begeisterung die Rede; sogar der Tourismusverband Franken wirbt mit dem „Egloffsteiner Wasserrad“.

Doch was genau ist notwendig, um solch ein Energieprojekt auch in Nürnberg anzugehen? Hierzu gab uns das Städtische Umweltamt ausführliche Antworten. Bei diesem Amt ist zunächst einmal die wasserrechtliche Genehmigung zu beantragen: „In der Regel wird für Wasserkraftanlagen für die Gewässerbenutzung eine Bewilligung für einen Zeitraum von 30 Jahren erteilt“, heißt es von dort. Falls für das Kraftwerk ein Eingriff in den Fluss notwendig ist, „wird zusätzlich auch ein Plangenehmigungs- oder Planfeststellungsverfahren für die Errichtung der Wasserkraftanlage bzw. die damit verbundenen Anlagen (z. B. Fischaufstieg) erforderlich“.

Dann gilt es, mit den Besitzer:innen des jeweiligen Wehrs eine Vereinbarung zu treffen, entweder mit dem Freistaat Bayern oder der Stadt Nürnberg. Darin geht es u.a. um den Unterhalt für das Wehr. Doch das ist nur ein Aspekt, der bei einem Antrag für Wasserkraftnutzung zu beachten ist: Auch mit den Eigner:innen des Gewässergrundstücks, der Ufermauern und weiterer betroffener Grundstücken sind Vereinbarungen zu treffen. Die Frage nach der Stromeinspeisung ins Netz und der Leitungsverlegung dorthin sind zu klären, genauso wie Denkmalschutz und Immissionsschutz einzubinden sind. „Für die Errichtung und den Betrieb einer Wasserkraftanlage ist auch eine allgemeine Umweltverträglichkeitsvorprüfung vorgeschrieben“, informiert das Umweltamt weiter. Und die Mitarbeiterin verweist auf das nagelneue „Bayerische Verfahrenshandbuch Erneuerbare Energien der Staatsregierung“. Das helfe Bürgern wie Projektentwicklern, „die Verfahren besser nachvollziehen zu können und beleuchtet die Systematik der verschiedenen Genehmigungsprozesse“. Zu finden ist es im Internet.

Was aber nicht verschwiegen werden darf: Es kostet viel Zeit, Mut und Durchsetzungsvermögen, solch ein Projekt auf die Beine – oder besser: ins Wasser zu stellen. Vielleicht helfen dabei ja auch Profs oder Studierende der Ohm-Hochschule Nürnberg, die schon vor über einem Jahrzehnt ein Kleinwasserkraftwerk bei Roßtal wissenschaftlich optimiert haben. Und mit dem neuen Paragrafen 2 im Erneuerbare-Energien-Gesetz dürfte alles tatsächlich leichter gehen als bisher. Auch in Nürnberg.

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