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Georg Escher

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Was will Wladimir Putin?

Von: Georg Escher

Lesezeit: 4 Minuten

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Die Krise zwischen der Ukraine und Russland spitzt sich weiter zu. Es gibt erste Kampfhandlungen. Unser Teammitglied, Georg Escher, ist jahrzehntelang Politik-Redakteur und kennt die nationale sowie internationale Politik fast wie seine Westentasche. Er hat Kontakte rund um den Globus. In seiner Kolumne "Der Blick nach draußen" wird er Dir hier künftig die großen bedeutenden Themen des Weltgeschehens erklären und Dir damit Orientierung geben.

Wladimir Putin hat es doch getan! Oder noch nicht so ganz? Denn eine Invasion der Ukraine ist das, was sich vor unseren Augen abspielt, trotz aller Kampfhandlungen noch nicht. Schon vor den jüngsten Ereignissen hat die ganze Welt gerätselt, was im Kopf des russischen Präsidenten vorgeht. Sehr viel klarer geworden ist das auch jetzt nicht. Journalistische Beobachter in der Ukraine, mit denen ich mich austausche, oder Ukrainer, die hier in Nürnberg leben, haben aber doch aufschlussreiche Einschätzungen.

Geringfügiger Einfall?

Offenkundig ist, dass der Kremlchef auslotet, was US-Präsident Joe Biden vor kurzem in einem unvorsichtigen Moment ausgeplaudert hat und was seine Leute anschließend verzweifelt wieder einzufangen versuchten. Russland werde verantwortlich gemacht werden, sollte es einen Überfall auf die Ukraine geben, hatte Biden gewarnt. Und dann folgten zwei seltsame Sätze außerhalb seines Manuskripts, die seine Berater die Hände über dem Kopf zusammenschlagen ließen.

Es hänge davon ab, was Russland mache, sinnierte der US-Präsident und spekulierte dann über eine „minor incursion“, was man mit „geringfügigem Einfall“ übersetzen könnte. Dann werde man „am Ende darüber streiten müssen, was wir tun und was wir nicht tun sollen, und so weiter”. Bidens Stab war entsetzt. Die Bemerkungen wurden sofort abgeschwächt. Aber Putin will offenbar jetzt austesten, wie weit er gehen kann.

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„Völlig verrückt“

Er habe sich Putins Rede über die Anerkennung der zwei Separatistenregionen Donezk und Luhansk angehört und müsse nun feststellen, dass der russische Präsident „völlig verrückt“ geworden sei, meint ein ukrainischer Journalistenkollege, der sonst selten zu so starken Worten greift. Die Rede sei nicht nur eine Warnung an die Ukraine gewesen, sondern an alle ehemaligen Sowjetrepubliken. In zweien davon, in Belarus und in Kasachstan, hatte es in letzter Zeit massive Proteste gegen die dortigen Präsidenten gegeben. Beide Male kam Putin zu Hilfe. Das Aufbegehren wurde brutal niedergeschlagen. Denn, so die Überlegung, sollten die dortigen Diktatoren fallen, könnten sich noch mehr Russen fragen, warum sie die Letzten sein sollen, die von einem Autokraten regiert werden. Es ist die Angst vor einem Dominoeffekt. Und die Sorge davor, dass die Weltmacht USA jeden Funken des Protests gezielt anfachen könnten.

Acht Jahre lang verschmäht

Doch was gewinnt Putin durch eine Anerkennung der abtrünnigen Regionen Donezk und Luhansk? Niemand wird glauben, dass die dortigen pro-russischen Anführer ihren Appell abgesetzt haben, ohne sich zuvor bei ihrem Chef in Moskau rückzuversichern. Den Wunsch, ins russische Staatsgebiet integriert zu werden, ist ja nicht neu. Schon nach den Protesten auf dem Maidan in der Hauptstadt Kiew im Frühjahr 2014 hatten in den beiden ostukrainischen Oblasten Kämpfe begonnen. Die Rebellen hatten bereits damals um einen Anschluss an Russland gebeten.

Putin hatte sie jedoch kühl abblitzen lassen und die Bitte als „interessant“ abgetan. So attraktiv schien es nicht, diese marode Bergbau- und Metallregion aufzunehmen. Es war völlig ausreichend, einen Grenzkonflikt am Köcheln zu halten, um eine mögliche Aufnahme in die Nato oder die EU zu blockieren. Acht lange Jahre ließ Putin die Rebellen schmoren.

Faktisch wenig verändert

Warum jetzt also die Anerkennung? Faktisch hat sich dadurch nicht viel verändert, sind sich die ukrainischen Freunde und Kollegen einig. Die Region war schon vorher von russischen oder pro-russischen Kräften kontrolliert. Unklar ist nur, ob auch die Teile von Donezk und Luhansk, die von ukrainischen Soldaten und Kämpfern gehalten werden, ebenfalls von der „Anerkennung“ betroffen sei sollen. Das würde sehr wahrscheinlich einen offenen Krieg auslösen.

Manche Beobachter betonen, dass Putin einem „imperialen Größenwahn“ verfallen sei. Er lebe in einer geschlossenen Informationsblase und lasse nur noch Leute zu sich vordringen, die ihm sagten, was er hören wolle, meint eine Ukrainerin, die in Nürnberg lebt. So war das auch bei den „Beratungen“ des vom Kremlchef einberufenen Sicherheitsrates. Nur Putin saß an einem riesigen Tisch. Alle anderen, für die dort ausreichend Platz gewesen wäre, saßen auf Stühlen und durften den Worten ihres Herrn lauschen. Selbst der sonst so selbstbewusste Außenminister Sergej Lawrow sah seltsam unwichtig aus.

Nord Stream 2 bleibt vorerst gestoppt

Und nun? Immerhin fielen die ersten Reaktionen der westlichen Staaten nicht ganz so schwachbrüstig aus. Dass die Bundesregierung das Zertifizierungsverfahren für die ohnehin umstrittene Pipeline Nord Stream 2 sofort gestoppt hat, ist ein gutes Zeichen. Die Gaslieferungen nach Deutschland über die anderen Leitungen zu drosseln, wäre für Putin riskant. Er würde einen für Russland wichtigen Markt vermutlich nachhaltig beschädigen und Türen zuschlagen.

Schriftliche, nicht mündliche Zusage

Noch jedenfalls ist Zeit für Gespräche. Aber sie müssen zum Kern gehen. Und das ist die Streitfrage, ob die Nato sich auch auf die Ukraine ausdehnen soll. Das will Putin unter allen Umständen verhindern – und weiß die große Mehrzahl der Russen hinter sich. Auch Bundeskanzler Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten zuletzt versichert, eine solche Aufnahme stehe auf absehbare Zeit nicht auf der Tagesordnung.

Putin allerdings wird sich nicht mit mündlichen Zusagen abspeisen lassen. Das hat 1990, als dem damaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow solche Versprechungen gemacht wurden, nicht geklappt. Putin will es schriftlich haben. Was spricht dagegen, dies für einen Zeitraum von zehn Jahren zu garantieren? Gleichzeitig könnte man von Moskau verlangen, ebenfalls schriftliche Garantieren für die Sicherheit der Ukraine abzugeben. Keine Manöver mehr so dicht an der Grenze, Verhandlungen über eine völkerrechtlich saubere Lösung für die Krim.

Wo bleibt der Vorschlag?

Mit Russland gibt es etliche gemeinsame Interessen. Beide Seiten haben ein Problem mit islamistischen Extremismus. Beide Seiten sind tief verwickelt in den Nahen Osten. All das könnte man ausloten. Verhandlungen im Normandie-Format, also zwischen Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland, wäre ein erprobter Rahmen. Wer hindert die Deutschen und die Franzosen daran, das zu tun? Dass die US-Regierung das vielleicht nicht gut finden könnte, darf kein Grund dafür sein zu kuschen. Ein offener Krieg in der Ukraine würde vor allem Europa treffen, nicht die USA. Wir müssen etwas zur Lösung beitragen.

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4 Kommentare

    • Aber ja, der Beitrag ist durch die aktuellen Ereignisse überrollt worden. Das bedeutet aber nicht, dass die Substanz entwertet worden wäre. Die Relevanzreporter sind kein tagesaktuelles Medium. Aber ein neuer Beitrag wird im nächsten Newsletter enthalten sein.

    • Hallo Tobias. Georg hat Dir schon geantwortet, nun komme auch ich als Gründerin dazu, Dir zu schreiben, weil es mir sehr wichtig ist: Du hast vollkommen Recht, es gibt auch eine zeitliche Relevanz und der Teil in unserem Namen steht nicht umsonst da: Er ist das Nutzer:innenversprechen an Dich und alle anderen Menschen in dieser Region.

      Zugleich hielten wir es es aber für noch relevanter, nicht nur einen neuen Artikel hier zu posten, sondern eine ganze Veranstaltung (unsere erste vor Ort überhaupt) zu organisieren, bei der Menschen wie Du ihre Fragen und Sorgen zum Krieg in der Ukraine an verschiedenste Fachleute stellen könnten. Denn wer weiß besser, was Euch beschäftigt als Ihr selbst. Dem wollten wir Raum geben (mehr dazu auf http://www.relevanzreporter.de/fragerunde-verpasst) . Unsere kleine und junge Redaktion (die hier auch erst in Vollzeit arbeiten kann, wenn sich auf http://www.relevanzreporter.de genug Leute als neue Mitglieder unserer Community anmelden und so unsere Arbeit finanzieren), hat schier Unmögliches möglich gemacht und binnen 72 Stunden eine Veranstaltung aus dem Boden gestampft, wie es sie sonst bisher nicht in Nürnberg zu dem Thema gab: Vor Ort, zwei Livestreams, drei Kanäle für direkt in die Veranstaltung eingebaute und beantwortete Fragen, die so die Themen des Abends bestimmten, sieben Podiumsgäste, die die Besucher:innen später als “hochkarätig” und “super informativ” bezeichneten, – darunter Ukrainer:innen und der ehemalige ARD-Moskau-Korrespondent Prof. Johannes Grotzky.

      Auch Georg Escher selbst, saß zum Einordnen der Situation auf dem Podium UND hat in den 72 Stunden zuvor maßgeblich den Abend mit seinen Relevanzreporter-Kolleg:innen mitorganisiert. Unser Podiumsteilnehmer und Relevanzreporter-Redakteur Philipp Demling, selbst studierter Slawistiker hat seine eigenen Rettungsaktionen von Freunden in der Ukraine und Moskau unterbrochen, um an dem Abend teilzunehmen.

      Den neuen Artikel zur Ukraine http://www.relevanzreporter.de/wie-Putin-stoppen hat Georg nun geschrieben, während er selbst seine Wohnung für eine Familie aus der Ukraine herrichtet, die dieser Stunden bei ihm eintreffen wird. Das alles erkläre ich Dir, weil uns als Relevanzreporter:innen neben der Relevanz auch die Transparenz unserer Arbeit sehr wichtig ist.

      Wenn Du sie und uns nun besser verstehst, freuen wir uns, wenn Du den neuen Artikel mit Deinen Freunden teilst oder auch gerne unsere Arbeit als neues Community-Mitglied mit Deiner Spende unterstützt: http://www.relevanzreporter.de Deine Alexandra Haderlein, Gründerin der gemeinnützigen Relevanzreporter Nürnberg

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