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Warum eine Aufstockung der Militär-Etats die Welt nicht sicherer macht

Von: Georg Escher

Die regierende Ampelkoalition in Berlin will plötzlich 100 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr ausgeben. Wenn aber sogar die US-Geheimdienste und das Pentagon perspektivisch eher den Klimawandel als größte Bedrohung für die internationale Sicherheit ausgemacht haben, stellt sich die Frage, ob dieser Kurswechsel eher in die Vergangenheit als in die Zukunft führt?

Man stelle sich vor, nicht die SPD, sondern die Union aus CDU/CSU hätte im September 2021 die Bundestagswahl gewonnen. Was wäre passiert, wenn nicht Olaf Scholz (SPD), sondern Armin Laschet (CDU) als Bundeskanzler nach dem militärischen Überfall Russlands auf die Ukraine verkündet hätte, die Bundeswehr werde nun mit 100 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln ausgestattet? 

Es hätte sehr wahrscheinlich nicht nur bei der Partei “Die Linke” einen Aufschrei gegeben, sondern auch bei den Sozialdemokraten und den Grünen. Doch nun stellen diese beiden Parteien gemeinsam mit der FDP eine Ampelkoalition – und sind von der Ankündigung ihres Kanzlers wie benommen. Es grummelt, aber bisher jedenfalls gibt es keinen lauten Protest. (Stand: 01. April 2022). Das ist sehr seltsam.

Als Ersatzteillager ausgeschlachtet

Niemand wird bestreiten, dass die Bundeswehr in großen Teilen in einem ziemlich maroden Zustand ist. Die Tornado-Kampfflugzeuge sind rund 40 Jahre alt und nur mit hohem Aufwand noch einsatzfähig zu halten. Noch schlimmer sieht es bei den noch zehn Jahre älteren Transporthubschraubern CH-53 aus, von denen seit Jahren ein Großteil am Boden bleiben muss, um als Ersatzteillager ausgeschlachtet zu werden. Es fehlt der Bundeswehr dramatisch an Munition. In ihrem am 15. März 2022 vorgelegten Bericht musste die Wehrbeauftragte Eva Högl einigermaßen fassungslos sogar beklagen, dass die in Litauen stationierten Bundeswehrsoldaten nicht einmal ausreichend warme Jacken und Unterwäsche hätten, die sie vor dem dortigen nasskalten Winterwetter zu schützen.

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F-35-Kauf: Doch kein Witz

Es gibt also unbestreitbar Nachholbedarf. Aber gleich eine 100-Milliarden-Euro-Bazooka auffahren? Als ich Kanzler Scholz diese Ankündigung im Bundestag machen hörte, dachte ich halbspöttisch, jetzt werde wohl die Anschaffung des US-Tarnkappenjets F-35 ganz oben auf die Agenda rücken. Und genau so ist es. Die F-35 des US-Herstellers Lockheed Martin gilt als das modernste, aber auch teuerste Kampfflugzeug der Welt, und es ist weit mehr als ein normaler Luftwaffenjet. Es ist eher wie eine fliegende Einsatzzentrale, die mit mit anderen Waffensystemen kommunizieren kann. Und die Maschine ist atomwaffenfähig. Deutschland könnte durch den Kauf auch die nukleare Teilhabe weiter sichern. Die Gesamtkosten für die Anschaffung von 35 Maschinen werden auf mindestens vier Milliarden Euro geschätzt, vermutlich aber deutlich mehr. Die Schweiz plant den Kauf von 36 F-35-Jets, die zusammen umgerechnet 5,9 Milliarden Euro kosten sollen.

Das teuerste Kampfflugzeug der Welt: die F-35 des US-Hersteller Lockheed Martin. Foto: Wikipedia/ U.S. Air Force/ Master Sgt. Donald R. Allen/Released

Die Liste ist lang

Damit aber nicht genug. Neben den F-35-Jets sollen 38 neue Eurofighter (Stückpreis: 142 Millionen Euro) geschafft werden, 50 bis 60 neue schwere Transporthubschrauber, von Israel sollen neue Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron gekauft werden. Weitere Milliarden sollen in das gemeinsam mit Frankreich und Spanien begonnene Mammutprojekt FCAS (Future Combat Air System) gesteckt werden. Dazu zählt nicht nur ein weiteres tarnkappenfähiges Kampfflugzeug. Ähnlich wie bei der F-35 sollen verschiedene Truppenteile mittels Satelliten und Combat Cloud miteinander vernetzt werden. Dazu sollen 229 neue Puma-Schützenpanzer kommen (Gesamtpreis: mehr als 3,6 Milliarden Euro). Die Liste ist lang. Kein Wunder, dass bei den Rüstungskonzernen die Aktienkurse in die Höhe schnellten.

Lästige Zwei-Prozent-Forderung abstellen

Zur Überraschung seiner eigenen Parteifreunde wie der Grünen verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einer Regierungserklärung im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2022 zudem, dass Deutschland ab sofort zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fürs Militär ausgeben werde. Zuletzt waren es rund 1,5 Prozent. Das wäre eine Steigerung um ein Drittel. Der Verteidigungsetat soll von 53 auf 70 Milliarden Euro anwachsen. Und die Bundesregierung müsste sich nicht länger die Vorwürfe aus den USA anhören, dass man immer noch nicht das 2014 in der Nato vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel erreicht habe.

Ob die geplanten Rüstungsprojekte zu den denkbaren künftigen Konfliktszenarien passen, scheint derzeit kaum eine Rolle zu spielen. Vor der russischen Invasion in der Ukraine lagen die Militärausgaben der Nato-Staaten mit 1100 Milliarden Dollar um den Faktor 18 über den 61 Milliarden Dollar, die Russland für seine Streitkräfte ausgibt. Trotz dieser unfassbaren militärischen Überlegenheit hat es die westliche Staatengemeinschaft in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnte nicht vermocht, auch nur einen einzigen Konflikt dauerhaft zu lösen. Nicht in Afghanistan, nicht im Irak und Syrien, nicht in Mali. In Libyen wurde durch an Angriff der Nato-Staaten Frankreich, Großbritannien und USA zwar der dortige Machthaber Muammar al-Gaddafi ausgeschaltet. Das Chaos im Land wurde damit jedoch vergrößert. Die Söldnertruppen plünderten die Waffenarsenale und verunsichern nun als islamistische Fundamentalisten mehrere Staaten in Nordafrika und der Sahelzone. Dort wurden neue Flüchtlingsströme ausgelöst, und auf dem umgekehrten Weg, auf dem sich die Waffen verbreiteten, werden heute enorme Mengen an Drogen Richtung Europa geschmuggelt. Was für ein Desaster!

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Der Ukraine-Krieg überlagert alles

Wladimir Putins Krieg in der Ukraine überlagert derzeit verständlicherweise die Diskussion. Doch schon jetzt ist erkennbar, dass Russland diesen Konflikt am Ende nicht wird gewinnen können. Trotz der enormen militärischen Übermacht stockt die Offensive, es gibt Rückschläge. Viel spricht dafür, dass die russische Wirtschaft verheerende Schäden erleiden und auch die militärische Macht erheblich vermindert sein wird.

US-Geheimdienste warnen vor Klimawandel

Trockener Boden - aufgeplatzte Erde.
Die Folgen der Klimaerwärmung sind auch Franken schon unübersehbar, wenn wegen fehlender Niederschläge die Erde aufbricht, wie hier in Unterfranken bei Elfershausen. In anderen Teilen der Welt, ob in Äthiopien oder Bangladesch, sind die Klimafolgen schon so gravierend, dass die US-Geheimdienste dies als ernste Bedrohung für die globale Sicherheit ansehen. Foto: Simon Malik

Ohnehin zeichnen sich seit vielen Jahren ganz andere Sicherheitsrisiken ab: Die 18 amerikanischen Geheimdienste haben 2021 in einem gemeinsamen Bericht davor gewarnt, die zunehmenden Schäden aufgrund des Klimawandels würden „die Risiken für die nationalen Sicherheitsinteressen der USA zunehmend verschärfen“. Es gebe ein „wachsendes Risiko von Konflikten über Wasser und Migration“. Das deckt sich mit einer schon 2010 verfassten internen Studie des US-Pentagon, das schon damals die Klimaerwärmung als bedrohlicher einschätzte als den weltweiten Terrorismus.

Mit China funktioniert das nicht

Gegen all das ist eine weitere Aufrüstung kein geeignetes Gegenmittel, auch keine 100-Milliarden-Euro-Bazooka. Die Nato kann zwar sicherlich Russland ähnlich zu Tode rüsten, so wie die USA in den 80er Jahren unter Präsident Ronald Reagan die damalige Sowjetunion in den Ruin getrieben haben. Doch die viel wichtigere Konfliktlinie verläuft zu China, das massiv aufrüstet. Und dort wird diese Methode nicht wirken. Warum es nicht einmal den Versuch gibt, eine neue Runde von Abrüstungsverhandlungen einzuleiten, ist angesichts dieser Lage nicht zu begreifen.

Die entscheidende Stellschraube ist der Klimaschutz

Der britische Wirtschaftsprofessor Nicholas Stern, der an der London School of Economics lehrt und früher Chefökonom der Weltbank war, hat bereits 2007 gefordert, ein Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts in den Klimaschutz zu investieren. Im vergangenen Jahr wären das 845 Milliarden Dollar gewesen. Der Afghanistankrieg hat allein die USA je nach Rechnung zwischen zwei und drei Billionen Dollar gekostet. Es ist ziemlich offenkundig, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss. Noch mehr Milliarden für Rüstung werden den Planeten nicht sicherer machen.

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