Fährt die Stadt Nürnberg die Kultur an die Wand? Warum wandern Künstler:innen lieber nach Berlin aus, statt in Nürnberg zu arbeiten? Oder bringen die bevorstehenden Kürzungen im Kulturbereich doch eine Chance sich neu auszurichten? Nürnberg war in den 1970/80er Jahren Vorreiter für Soziokultur und für die gesamte Republik ein Vorzeigeobjekt. Unser Redakteur Norbert Goldhammer sieht Möglichkeiten, wie wir unsere Stadtkultur doch erhalten könnten.
Wenn man die Kürzungsvorschläge aus dem Sommer 2022 des Stadtkämmerers Harry Riedel (SPD) vorliegen hat, blickt man auf eine Liste der Grausamkeiten, die den Stadthaushalt für 2023 betreffen. Großveranstaltungen sollen eingedampft, Ausstellungsräume geschlossen werden. Doch wie steht es um die Subkultur? Kann die freie Szene vielleicht sogar von einer Neuausrichtung profitieren?
Wenn klamme Haushaltskassen zum Sparen verpflichten, ist meist auch das Kulturbudget betroffen. So auch im Haushaltsplan der Stadt. 50 Millionen Euro muss Nürnberg im Jahr 2023 einsparen. 6,2 Millionen Euro fallen auf die Kultur. Die größten Posten sind das Bardentreffen, die Blaue Nacht und das Klassik Open Air, die künftig nur noch alle zwei Jahre stattfinden sollen. Das Silvestival steht komplett vor dem Aus. Ebenso sollen Kunsthalle und Kunstvilla geschlossen werden. Was die Haushaltskürzungen für die Subkultur bedeuten, ist noch nicht absehbar. Mit rund 250.000 Euro fällt der Etat hierfür vergleichsweise gering aus.

Für Kulturbürgermeisterin Julia Lehner (CSU) sind die finanziellen Rahmenbedingen kein Anlass zur Freude. „Stets ist es die Kultur, die als ‚freiwillige Leistung‘ der Kommune besonders auf den Prüfstand gerät, dabei leisten alle Akteure, ob kommunal oder in den freien Szenen, wichtige Bildungsarbeit“. Sie verweist in diesem Zusammenhang auch auf bereits vollzogene Streichungen im Kulturbereich wie der Sanierung der Meistersingerhalle oder des Pellerhauses. Auch für Stadtrat Ernesto Buholzer Sepúlveda, der für die politische Gruppierung Politbande im Stadtrat sitzt, sind die drohenden Kürzungen im Kulturbereich „skandalös und mit großer Sorge zu betrachten“. Er hätte sich „mehr Fingerspitzengefühl gewünscht“. Die Politbande fordert einen Strukturwechsel in der städtischen Kulturpolitik: Die Bezuschussung aller Sparten, vom Hip Hop bis zur Strawinski-Oper, müsse auf ein gleiches finanzielles Niveau gebracht werden.
Bund bezuschusst Räume mit 20 Millionen Euro

Nicht auf der Streichliste des Stadtkämmerers zu finden sind das Operninterim und die Planungen zur Kongresshalle. Am 27. Oktober hat der Bund für die dort neu entstehenden Ermöglichungsräume 20 Millionen Euro bereitgestellt. Dadurch soll neuer Platz für Kunst und Kultur entstehen. Räume also, die dringend benötigt werden. Immer noch wandert kreatives Potenzial ab, weil Künstler und Kreative hier keinen Nährboden vorfinden und die Fördertöpfe für Kulturprojekte immer kleiner werden. Für Philipp Eyrich, bildender Künstler aus Nürnberg, sind die Ermöglichungsräume in der Kongresshalle zwar ein toller Ansatz, „der Umbau kommt aber viel zu spät. Bis dort Künstler einziehen können, vergehen fünf bis sechs Jahre, verlorene Zeit“.
Die städtische Kulturförderung besteht aus verschiedenen Fördertöpfen mit unterschiedlichen Schwerpunkten:
– Atelierförderung
– Freie Szene Tanz und Theater
– Heimatpflege
– Initiativgruppen im Kulturbereich
– Interkulturelle Arbeit
– Kindertheater
– Kultur in der Stadt
– Mietzuschüsse an Migrantenvereine
Kunst und Kultur braucht Raum zur Entfaltung
Eyrich teilte sich ein großes Atelier auf AEG mit fünf Kollegen:innen. Im Sommer 2021 war dann Schluss. In einigen Jahren soll auf dem Gelände ein neues Stadtviertel entstehen und Teile der Technischen Universität. 90 Kreative mussten sich eine neue Bleibe suchen. Eyrich hat ein neues Atelier in Berlin gefunden, andere haben sich im Tillypark neu sortiert. Der ehemalige Bürokomplex wurde von der Stadt zur Verfügung gestellt und befindet sich in Schweinau, im Südwesten Nürnbergs in einem Industriegebiet.
Kultur müsste aber in der Stadt verankert sein. Die Kunst muss sichtbar bleiben und sich der Stadtgesellschaft öffnen. Die alte Pinselfabrik im Stadtteil Johannis wäre ein solcher Ort gewesen. Mehrere Künstler:innen haben sich für den Erhalt und eine Zwischennutzung stark gemacht. Die Stadt hat sich aber nach dem Erwerb des Gebäudes vertraglich an den Abriss gebunden. Mehr Grünflächen sollen entstehen und die Erweiterung der angrenzenden Hesperidengärten ermöglicht werden.
Raumkompass setzt am richtigen Hebel an
Um solche verpassten Chancen und halbherzigen Interimslösungen künftig zu vermeiden, wurde im Rahmen der Kulturhauptstadtbewerbung N2025 der Raumkompass installiert. Die Einrichtung, unter Federführung des Amts für Kultur und Freizeit, soll dabei helfen, leerstehende Räume und Gebäude an Kunst- und Kulturschaffende zu vermitteln. Die Nutzung von Leerstand soll so zu einer Aufwertung von Stadträumen führen. Der Raumkompass hat auch schon einige Erfolge vorzuweisen. „Leider ist die Einrichtung mit nur einer festen Stelle besetzt und könnte bei entsprechender personeller Aufstockung bestimmt noch effektiver arbeiten“, meint Stadträtin Natalie Keller von den Grünen. Für sie ist der Raumkompass ein gutes Beispiel für „ein funktionierendes Netzwerk, dass der freien Szene effektiv bei der Suche nach dringend benötigten Räumen helfen kann.“
Nürnberg erarbeitet eine Kulturstrategie
Ein weiterer wichtiger Baustein zur Unterstützung der freien Szene und der soziokulturellen Entwicklung in Nürnberg ist für die Grünen-Stadträtin die Kulturstrategie, die von der Stadt seit 2018 erarbeitet wird und in der sich auch der Raumkompass wiederfindet. Das Strategiepapier schreibt fest wie Nürnberg gesellschaftsorientierte Kulturarbeit ermöglichen kann und öffentliche Mittel effektiv zugeteilt werden können. Für konstruktiven Austausch zwischen Stadtverwaltung und der freien Szene soll ein Kulturrat sorgen, ein Vertretungsgremium, das die Anliegen und Meinungen der Nürnberger Kulturszene bündelt und als Sprachrohr fungiert. Auch die Politbande möchte solche Runden Tische installieren. Für Stadtrat Buholzer Sepúlveda ist es wichtig, „dass die Organisation des Kulturrats, die Zusammensetzung und die besprochenen Themen aus der freien Szene selbst kommen und nicht von der Stadt auferlegt werden“.
Zur weiteren Entwicklung des Kulturrats soll es öffentliche Diskursformate und Workshops geben, bei denen gemeinsame Ideen entwickeln werden. Um auf dem Laufenden zu bleiben, wie es mit dem Kulturrat weitergeht, kann man sich den Kulturstrategie-Newsletter abonnieren.
Nürnberg war schon eimal Primus in Sachen Soziokultur
Die Kulturstrategie ist ein guter Ansatz: So wird die Stadtgesellschaft zusammen gehalten und das soziokulturelle Erbe Hermann Glasers bewahrt. Nürnberg war nämlich in den 70ern und 80ern des letzten Jahrhunderts schon einmal Vorreiter für Soziokultur. Der damalige Schul- und Kulturreferent Hermann Glaser war Mitbegründer des KOMM und hat die seit nun mehr 40 Jahren bestehenden Kulturläden ins Leben gerufen. Nürnberg war damals für die gesamte Republik ein Vorzeigeobjekt. Diese kleinen soziokulturellen Zentren sind für die Menschen in den Stadtteilen bis heute da und gestalten mit ihnen gemeinsam ein vielfältiges kulturelles Programm. Solche Einrichtungen sind wichtig für die Stadtbevölkerung, denn sie fördern das Zusammenleben auf vielfältige Weise. Sie vernetzen Menschen, machen niederschwellige Angebote und bieten so Kultur für alle Bevölkerungsschichten.
Im Künstlerhaus K4, in der Marienstraße, findet vom 19. November 2022 bis 5. Februar 2023 eine Ausstellung statt, die sich mit der wechselvollen Geschichte des KOMM befasst.
Hermann Glaser (1928-2018) war Gymnasiallehrer und erfolgreicher Autor und Publizist. Von 1964 bis 1990 war er Schul- und Kulturreferent der Stadt Nürnberg. In dieser Zeit widmete er sich unter anderem der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Er forderte ein „Bürgerrecht Kultur“ in der demokratischen Gesellschaft und war 1973 Mitbegründer des selbst verwalteten Nürnberger Jugendzentrums KOMM. Bundesweit bekannt wurde Glaser auch durch seinen Einsatz für 140 inhaftierte Jugendliche, für die er nach einer Massenverhaftung nach einer Demonstration im Jahr 1981 Partei ergriff und sich für sie einsetzte. Er war auch maßgeblich an der Gründung der Kulturläden und Stadtteilzentren in Nürnberg beteiligt. Glaser war Mitherausgeber einer deutschen Literaturgeschichte, Hörfunkautor, Essayist und Kolumnist sowie Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland. 15 Jahre lang leitete er den Kulturausschuss des Deutschen Städtetags.
Projekt aus der Kulturhauptstadtbewerbung steht vor dem Aus
Ein gutes Beispiel für soziokulturelle Arbeit in den Stadtteilen ist die KommVorZone. Wie der Raumkompass wurde auch dieses Projekt im Rahmen der Kulturhauptstadtbewerbung ins Leben gerufen und mit Geldern aus dem Bewerbungstopf finanziert. Im Annapark in der Südstadt wurde öffentlicher Raum zu einer gemeinschaftlich genutzten KommVorZone umgestaltet. Die Bürger:innen konnten an Kreativ-Workshops teilnehmen, Konzerte besuchen, tanzen und sich sportlich betätigen. 2021 wurde die KommVorZone dann noch einmal von der Zukunftsstiftung der Sparkasse finanziell unterstützt und am Leben gehalten. 2023 steht das Projekt nun aber vor dem Aus.
Strategiewechsel in der Kulturpolitik?
Die angespannte Haushaltslage und die damit verbunden drohenden Kürzungen im Kulturetat werden es der freien Szene und der Subkultur in Nürnberg in Zukunft nicht einfacher machen. Vielleicht aber bietet der finanzielle Kahlschlag auch Potenzial, Neues entstehen zu lassen. Eine geschlossene Kunsthalle muss ja nicht leer stehen. Vielleicht kann man den Raum ja Vereinen oder Kollektiven zur Verfügung stellen. So würde eine Win-win-Situation entstehen. Wenn die Blaue Nacht nur alle zwei Jahre stattfinden soll, könnten sich an seiner Stelle kleinere Veranstaltungen etablieren, die weniger kostenintensiv aber trotzdem Publikumswirksam sind. Das NUEJAZZ Festival hat auch klein angefangen, in einer Halle auf AEG. Mittlerweile hat sich dieses Event zu einem würdigen Nachfolger das legendären Jazz Ost-West Festivals gemausert und ist international besetzt.
Für die Außendarstellung, den Tourismus und das Image der Stadt Nürnberg sind Mega-Events zwar von Vorteil. Die Zeit der ein oder anderen Großveranstaltungen geht aber vielleicht auch irgendwann einmal vorbei. Echten Zusammenhalt innerhalb der Stadtgesellschaft erreicht man mit einer aktiven Bürgerschaft und Kulturakteuren, die sich in ihrer Ausrichtung auch verstanden und mitgenommen fühlen.
Auf welche Großveranstaltung in Nürnberg könntest Du gerne verzichten und welche muss unbedingt erhalten bleiben? Welche Forderungen hättest Du an die Stadtverwaltung, wenn Du im geplanten Kulturrat sitzen würdest? Sind die finanziellen Aufwendung zur Neugestaltung der Kongresshalle mit den Ermöglichungsräumen Deiner Meinung gerechtfertigt? Passt die Kunst überhaupt in ein Gebäude mit NS-Vergangenheit? Schreib uns dazu Deine Meinung gerne in den Kommentaren!