Es ist passiert. Die Nato-Staaten haben sich Donald Trump unterworfen. Die Allianz ist vorerst gerettet. Trotzdem, diese unfassbare Aufblähung der Militäretats ist ein Irrweg. Gewiss, Russlands brutaler Krieg gegen die Ukraine erfordert eine Reaktion, auch militärisch. Doch ein Blick auf die vergangenen Jahrzehnte zeigt unzweideutig: Die Versuche, solche Konflikte militärisch zu lösen, haben alles nur noch schlimmer gemacht. Zeit für einen neuen Ansatz.
VON GEORG ESCHER
Noch im Februar 2023, ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, hatten nur zehn der damals 30 Nato-Staaten das Ziel erreicht, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für ihre Verteidigungsausgaben aufzuwenden. Diese Marke war 2014 beschlossen worden, als Reaktion auf die Besetzung der ukrainischen Donbassregion und die Krim durch russische Kräfte. Und wer noch vor einem Jahr behauptet hätte, dass die Nato-Staaten demnächst ihre Rüstungsetats auf fünf Prozent anheben würden, wäre ausgelacht worden. Unmöglich, illusorisch. Und doch ist genau das geschehen.
Huldigung für Trump

Foto: Ministerie van Buitenlandse Zaken / Valerie Kuypers
„Europa wird GEWALTIG Geld hinlegen, wie es das tun sollte, und das ist dein Sieg“, huldigte Nato-Generalsekretär Mark Rutte US-Präsident Donald Trump in einer Privatnachricht, als der Amerikaner gerade auf seiner Air Force One zum Gipfel in Den Haag einschwebte. Zwar sollen „nur“ 3,5 Prozentpunkte dieser fünf Prozent für Militärisches ausgegeben werden. Die restlichen 1,5 Prozentpunkte sollen in militärisch nutzbare Infrastrukturprojekte wie Brücken, Schienen- und Straßenverbindungen oder Cyberschutz investiert werden. Trotzdem bleiben das gewaltige Summen. Erst wenig Tage vor dem Gipfel hatte Rutte vermelden können, dass nun alle 32 Nato-Staaten (einschließlich der neuen Mitglieder Finnland und Schweden) ihr Zwei-Prozent-Ziel erreicht hätten.

Nur, diese Vorgabe ist längst Makulatur. Wegen Trump. Noch vor seiner Inauguration, bei einer Pressekonferenz am 7. Januar 2025 in seinem Golf-Ressort Mar‑a‑Lago in Florida, hob der US-Präsident die Messlatte noch einmal drastisch an. „Sie (die anderen Nato-Staaten; Anm. d. Red.) können es sich alle leisten, aber sie sollten bei fünf Prozent und nicht bei zwei Prozent liegen.“ Das ist weit mehr als selbst die Amerikaner ausgeben, bei denen die Militärausgaben zuletzt bei 3,5 Prozent des BIP lagen. Verrückt!
„Was auch immer zur Hölle sie tun wollen“
Offenbar nicht absurd genug, um nicht doch zuzustimmen. Wenn das der Preis wäre, Trump davon abzuhalten, die Nato platzen zu lassen, dann sei das eben so, war offenkundig das Kalkül. Schon im Wahlkampf 2024 hatte dieser unverhohlen gedroht. „Ich habe gesagt: ‚Seht, wenn ihr nicht zahlt, werden wir euch nicht beschützen, okay? … Genau das bedeutet es. Ich werde euch nicht beschützen.‘“ Einmal in Rage, legte der Republikaner nach: Er würde den Russen sogar empfehlen, „zu tun, was auch immer zur Hölle sie tun wollen“.

Bundeskanzler Friedrich Merz betonte zwar gleich mehrfach, dass Deutschland die Erhöhung der Verteidigungsausgaben aus eigenem Antrieb mache und nicht, um Trump einen Gefallen zu tun. Doch das ist nicht mehr als Politlyrik. Die Nato-Partner haben vor Trump gekuscht. Einzig der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez gab sein trotziges „Ich widerspreche“ zu Protokoll, auch wenn er dem Beschluss formal zustimmte. Der militärische Beitrag, den die Allianz von seinem Land einfordere, lasse sich mit 2,1 Prozent vom BIP finanzieren, beharrte er. Aber natürlich, Spanien ist auch weit weg von der Ukraine. Das verändert die Sichtweise.
Nato gibt mehr für Rüstung aus als alle anderen

Was in dieser Debatte völlig untergeht: der Blick fürs Große und Ganze. Erst Ende April 2025 hatte das in Stockholm angesiedelte Friedensforschungsinstitut SIPRI einen neuen Rekordwert bei den weltweiten Rüstungsausgaben vermeldet. Diese belaufen sich inzwischen auf 2,72 Billionen Dollar – ein Anstieg von rund 21 % innerhalb von zwei Jahren. Unangefochten an der Spitze stehen weiterhin die USA mit 997 Milliarden Dollar, die damit allein für einen Anteil von 37 Prozent stehen. Die Militärbudgets aller Nato-Staaten addieren sich auf 1,5 Millionen Dollar; das sind 55 Prozent aller weltweiten Rüstungsausgaben. Und nun beschließt die westliche Friedensallianz, ihre Ausgaben von zwei auf fünf Prozent mehr als zu verdoppeln? Selbst wenn man nur den rein militärischen Anteil von 3,5 Prozent des BIP betrachten wollte, wären das unfassbare Steigerungsraten. Die Rüstungsspirale würde in den Turbomodus geschaltet. Niemand wird annehmen, dass andere Länder, allen voran China, da nicht im selben Ausmaß mitziehen würden. Das soll die Lösung sein?

Deutschland würde brennen
Auch in Deutschland droht ein solcher Anstieg der Rüstungsausgaben die öffentlichen Finanzen zu sprengen. Das deutsche Verteidigungsbudget lag vor dem russischen Überfall auf die Ukraine bei knapp über 50 Milliarden Euro und wuchs dann mit dem noch unter dem vorigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) umgehend beschlossenen ersten Sondervermögen auf 58,5 Milliarden an. Inzwischen beläuft sich der Etat, mit Erreichen des Zwei-Prozent-Zieles, auf 85,5 Milliarden, wobei da allerdings auch die Militärhilfe für die Ukraine eingerechnet ist. Bei einer Erhöhung auf fünf Prozent des BIP lägen die Ausgaben bei rund 220 Milliarden Euro. Das wäre – nur zum Vergleich – fast die Hälfte des derzeitigen Bundesetats von 488,6 Milliarden. Selbst die 3,5 Prozent rein militärischer Anteil machten noch gut 150 Milliarden Euro aus. Trotz Sondervermögen, irgendwo müsste da massiv eingespart werden. Die mit Abstand größten Posten wären Sozialleistungen und Renten. Würde dort die Axt angesetzt, das Land würde brennen.

Die Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) lassen allerdings auch Spielraum erkennen. „Diese Diskussion um Prozentzahlen vom BIP, das ist eine Hilfskonstruktion, um mal Richtwerte zu haben … Stattdessen sollte es mehr um die konkreten militärischen Fähigkeiten gehen“, sagte er Mitte Mai im ZDF-Talk bei Maybritt Illner. Man könnte das auch übersetzen mit: Das ist eine Zielgröße, und das könnte dauern. Vielleicht auch über die zweite Amtszeit von Donald Trump hinaus. Will man den US-Präsidenten vielleicht aussitzen? Der denkt allerdings schon jetzt darüber nach, ob man die in der amerikanischen Verfassung (im 22. Verfassungszusatz) festgeschriebene Begrenzung auf zwei Wahlperioden nicht „umschreiben“ könnte.
Einige blenden die Realität aus
Unabhängig davon stellen sich aber grundsätzliche Fragen. Außer in Teilen des linken politischen Spektrums und bei der rechtspopulistischen (und sehr russlandfreundlichen) AfD wird kaum irgendwo bestritten, dass der militärischen Aggression Russlands auch mit einem Gegengewicht des Westens begegnet werden muss. Die Ukraine braucht substanzielle Hilfe, auch militärische. Solange Russland die Oberhand behält, wird Kremlchef Wladimir Putin kaum zu ernsthaften Verhandlungen bereit sein. Nur wer die Realität hartnäckig ausblendet, wird das anders sehen können.

Anderseits ist nicht zu begreifen, warum sich die Krisenstrategie so ausschließlich im militärischen Denken erschöpft. Einer der Hauptgründe für Putin, 2014 mit der Besetzung des Donbass und der Krim einen offenen Grenzkonflikt zu schaffen, war: Er wollte unter allen Umständen einen Beitritt der Ukraine zur Nato verhindern; die Statuten der Allianz nämlich verbieten die Aufnahme von Staaten mit ungeklärten Grenzstreitigkeiten. Meinungsumfragen aus den Jahren 2012 und 2013 zeigen, dass damals nur 20 bis 30 Prozent der Ukraine ihr Land in die westliche Allianz integriert sehen wollten. Selbst nach der Eskalation von 2014 überstieg die Zustimmung bis 2020 nicht über die 50-Prozent-Marke. Warum darf über diese Frage offenbar nicht mehr nachgedacht werden?
Schon Boris Jelzin hatte gewarnt

Selbst Putins Vorgänger Boris Jelzin hatte 1997 gewarnt, dass mit einem Nato-Beitritt der Ukraine die rote Linie überschritten würde. Auch erfahrene politische Haudegen wie der frühere US-Außenminister Henry Kissinger und sein deutscher Amtskollege Hans-Dietrich Genscher hatten immer wieder gemahnt, der Westen dürfe sich nicht in die Ukraine – und damit auf das altrussische Territorium der Kiewer Rus – ausdehnen. Das ist Jahre her, hat aber seine Bedeutung nicht verloren. Warum sollte man darüber nicht reden?
Noch ernüchternder ist der Blick auf die größten Konflikte der vergangenen Jahrzehnte: Afghanistan, Irak, Libyen. Die Versuche, sie militärisch zu schlichten, endeten ausnahmslos in einem Desaster. Fangen wir an mit Afghanistan.
Schmachvoller Abzug nach 20 Jahren

Afghanistan: Osama bin Laden hatte vom Hindukusch aus die Anschläge vom 11. September 2001 orchestriert. Militärisch waren seine Organisation Al-Qaida sowie die mit ihm verbündeten Taliban nach gut einem Jahr besiegt. Doch dann versäumten es die westlichen Mächte, die Landwirtschaft und die heimische Wirtschaft wieder aufzupäppeln. Statt die einheimischen Bauern zu unterstützen, drückten die USA über das World Food Program (WFP) ihre Getreideüberschüsse auf den Markt – mit dem Ergebnis, dass die Bauern dann eben auf den Mohnanbau umstiegen. Der weit überwiegende Teil der ausländischen Milliarden floss in den Aufbau von Polizei und Armee, doch damit wurde das Land nicht stabilisiert. Zudem wurde die Regierung von vielen Afghaninnen und Afghanen als von Washington gesteuerte Marionette wahrgenommen. Nach 20 Jahren endete diese verfehlte Politik in einer schmachvollen Flucht. Die Taliban sind zurück, und das Land ist wieder weit in die Vergangenheit zurückgeworfen. Ein Totalversagen.

Erster Irakkrieg: Anfang August 1990 hatte der irakische Machthaber Saddam Hussein, ein einst von den USA gegen die iranischen Mullahs aufgerüsteter Diktator, Kuwait überfallen unter dem Vorwurf, der kleine Nachbar im Süden fördere weit mehr als die vereinbarte Menge aus dem gemeinsam genutzten Ölfeld. Schon eine Woche nach dem Überfall gab der UN-Sicherheitsrat grünes Licht für eine Militäraktion gegen den Irak. Die USA unter ihrem Präsidenten George Bush Senior stellten eine massive Streitmacht zusammen, die Mitte Januar 1991 die „Operation Wüstensturm“ begann und schon nach sechs Wochen den Sieg verkünden konnte. Das Problem: Die amerikanischen Truppen, mehrere hunderttausend Mann, waren vor allem in Saudi-Arabien stationiert, dem Land der Heiligen Stätten in Mekka und Medina. Osama bin Laden, tiefreligiöser Spross einer einflussreichen jemenitisch-saudischen Baudynastie, nahm daran heftigen Anstoß und kritisierte massiv das saudische Königshaus. Im März 1992 reiste er nach langem Hin- und Her wieder nach Afghanistan, wo er schon zuvor den Kampf gegen die sowjetischen Besatzer unterstützt hatte. Die Geschichte ist kompliziert, doch vieles spricht dafür, dass bin Ladens Terrorgruppe Al-Qaida nie diese Bedeutung erlangt hätte, hätten die Amerikaner nicht ihre Truppen in Saudi-Arabien stationiert. So aber hat der Erste Irakkrieg den Aufstieg von Al-Qaida zur wichtigsten islamistischen Terrorgruppe der Welt begünstigt.
Im Gefängnis entstand der Islamische Staat

Zweiter Irakkrieg: Nach den Angriffen von Osama bin Ladens Al-Qaida vom 11. September 2001 auf die Türme des World Trade Centers in New York und das Pentagon in Washington griffen die USA nicht nur Afghanistan an, wo die Taliban bin Ladens Terrorgruppe Schutz boten. Schon am Tag nach den Angriffen machte sich der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld dafür stark auch den Irak anzugreifen, obwohl dieser – wie sich später herausstellen sollte – mit der Terrorattacke überhaupt nichts zu tun hatte. Am 20. März 2003 begann der Krieg einer von den USA angeführten „Koalition der Willigen“ mit einem massiven Bombardement der irakischen Hauptstadt Bagdad. Anders als George H.W. Bush im Ersten Irakkrieg zwei Jahrzehnte zuvor erhielt sein Sohn George W. Bush kein Mandat durch den UN-Sicherheitsrat. Mithin war der Angriff ein Verstoß gegen das Völkerrecht, der allerdings ungeahndet blieb. Militärisch schien die Operation „Shock and Awe“ (Schock und Ehrfurcht) rasch abgeschlossen zu sein. Schon am 1. Mai 2003 landete US-Präsident Bush in Kampfpilotenuniform an Bord des Flugzeugträgers USS Abraham Lincoln, um dann zu verkünden: „Mission accomplished – Auftrag erfüllt“.

Das sollte sich als voreilig erweisen. Die Dinge liefen rasch aus dem Ruder. Paul Bremer, der von den USA eingesetzte Leiter einer Übergangsverwaltung, löste umgehend sowohl Armee als auch die regierende Baath-Partei auf. Mindestens 400.000 Soldaten und Parteifunktionäre verloren ihre Arbeit. Die Führungskader wanderten in die Gefängnisse. Dort aber organisierten sie sich erneut. Aus ihnen rekrutierten sich die Anführer einer Terrormiliz, die als Islamischer Staat (IS) sowohl den Irak als auch Syrien in den Orkus riss und bis heute die Region destabilisiert. Ohne die völkerrechtswidrige Invasion des Zweistromlandes wäre es kaum so weit gekommen.
Sarkozys zwielichtige Rolle in Libyen

Libyenkrieg: Im Jahr 2011 brach zunächst in Tunesien ein Aufstand aus, der unter dem Namen „Arabischer Frühling“ alsbald auch Staaten wie Libyen, Ägypten oder Syrien erfasste. Auch in Libyen ließ Machthaber Muammar al-Gaddafi die Sicherheitskräfte rücksichtslos auf Demonstranten schießen. Bereits am 17. März 2011 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1973, die die internationale Gemeinschaft ermächtigte, militärische Maßnahmen zum Schutz der Zivilisten in Libyen zu ergreifen. Zwei Tage später begann eine Militäraktion der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Treibende Kraft dabei war der französische Präsident Nicolas Sarkozy. Ausgerechnet er musste sich im Jahr erstmals des Vorwurfs erwehren, dass er sich mit Millionen von Gaddafi seinen Wahlkampf im Jahr 2007 habe mitfinanzieren lassen. Die Gerichtsverfahren ziehen sich bis heute hin. Erst im April 2025 forderte die Anklage sieben Jahre Haft, eine Geldstrafe von 300.000 Euro und fünf Jahre Unwählbarkeit für Sarkozy. Das Urteil wurde noch nicht verkündet.
Libyen jedenfalls ist seither aus dem Chaos nicht mehr herausgekommen. Gaddafi wurde gefangen, grausam verstümmelt und getötet. Im Land gibt es seither keine funktionierende Regierung, zwei Machtblöcke bekämpfen sich gegenseitig. Und es gibt fürchterliche Kollateralschäden. Gaddafi hatte Milizen aufgebaut, die nur ihm verpflichtet waren. Nun aber waren sie arbeitslos, plünderten die Waffenarsenale und machten sich damit zum Teil auf in ihre Heimatstaaten.
Gaddafis Milizen halfen bei Umsturz in Mali
In Mali, zum Beispiel, verbündeten sie sich mit den Tuareg-Nomaden im Norden des Landes und stürzten 2012 die Regierung in Bamako. Gaddafi war zuvor von den Europäern mit Millionenzahlungen unterstützt worden, damit er Flüchtlingsströme aus seinem Land ins nahe Italien unterband. Über die Methoden, mit denen diese erreicht wurden, wollten die Europäer nicht gerne reden. Jetzt aber, da Gaddafi tot war, gab es kein Halten mehr. Die Flüchtlingszahlen stiegen. Zudem ist Libyen seither ein wichtiges Transitland für Drogenhandel aus westafrikanischen Staaten nach Europa. Was für eine Bilanz eines fragwürdigen militärischen Eingreifens!
Die Liste solch missratener Interventionen ließe sich fortsetzen. Davon will in der jetzigen Debatte um Abermilliarden für mehr Rüstung in den Nato-Staaten aber niemand etwas hören. Gewiss, man mag das einstweilen ausblenden. Dennoch ist die Botschaft unübersehbar: Militärische Interventionen sind oft völlig ungeeignet, um poltische Konflikte zu schlichten. Irgendwann aber wird man auch auf diese jetzige Phase zurückblicken. Es ist wenig wahrscheinlich, dass am Ende ein Erfolg zu vermelden sein wird. Es braucht einen Kurswechsel.