Kongresshalle: Steigende Kosten bedrohen Kulturtraum mit Ermöglichungsräumen

Veröffentlicht am 24. Mai 2024
Zuletzt aktualisiert am: 5. Juni 2024

Der Umbau der Kongresshalle wird teuer und hinkt seinem Zeitplan hinterher. Obendrein stehen wichtige Förderzusagen weiterhin aus. Was das für die Oper, die Ermöglichungsräume und unsere Kultur in der Stadt generell bedeutet, erklären Dir die Relevanzreporter mit dieser Recherche – kostenfrei für alle.

Die Nürnberger Kongresshalle am Dutzendteich als einzigartiger Kulturstandort. Hier sollen die verschiedenen Kunstszenen aufeinandertreffen und Gäste aus aller Welt begeistern, so die Vision für die Ruine aus NS-Zeiten. Die Stadt beschreibt das Projekt als Ort der „zukunftsgerichteten Erinnerungskultur“, der das „Gebäude als Ganzes ins öffentliche Bewusstsein“ hebt und neue Synergien ermöglicht. Doch die Kosten könnten dem Vorhaben den Garaus machen – oder es zumindest massiv schmälern.

So soll der Torso der Kongresshalle einmal aufgeteilt sein. Die Räume des Staatstheaters sind grün markiert, die Ermöglichungsräume rot. Grafik: Stadt Nürnberg

Ermöglichungsräume als Fläche für die freie Kulturszene

Doch zunächst zur Vision: Gemeinsam mit den dort beheimateten Nürnberger Symphonikern und dem Doku-Zentrum in den zwei Kopfbauten soll die Kongresshalle das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg zu einem weltweit bekannten Ort der Kultur machen.

Neben der großen Bühne für Oper und Ballett sollen Atelierräume, Werkstätten, ein Tonstudio, Proberäume für Bands, ein Tanzproberaum und zahlreiche Begegnungsflächen entstehen: Rund 7000 Quadratmeter von den 90.000 Quadratmetern im Torso der Kongresshallen sollen für Nürnbergs freie Künstler:innen als sogenannte Ermöglichungsräume bereitstehen. Sie ummanteln die sechs Sektoren, in denen Opernsänger:innen proben, sich in den Garderoben schminken, und anschließend auf der Bühne des „Ergänzungsbaus“ im Innenhof 800 Zuschauer:innen unterhalten.

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Lagerstätte für Schulen und Museen

Die Ermöglichungsräume sollen zu Produktionsstätten und Bühnen der Freien Kunstszene werden. Grafik: Architektenbüro Von Gerkan, Marg und Partner

Ein paar Flure weiter sollen Möbel und Exponate der Nürnberger Museen und Schulen lagern. Alles wird mit erneuerbaren Energien gespeist. Im begrünten Innenhof trifft man sich zum Austausch und die Uhus und Fledermäuse dürfen ihren Platz in der Fassade der Kongresshalle behalten.

Und, wenn dann in ein paar Jahren noch Geld übrig ist, wird ein neuer U-Bahnhof eine noch bessere Anbindung an den öffentlichen Verkehr ermöglichen. Es ist eine schöne Vision, das steht außer Frage.

Die Vision soll mehrere Probleme lösen

Spätestens seit Nürnbergs Bewerbung zu Europas Kulturhauptstadt im Jahr 2019 ist diese Vision gewachsen. Mitarbeitende der Stadtverwaltung, des Kultur- und Baureferats, Stadt:rätinnen, Künstler:innen, Architekt:innen und viele mehr haben sie entworfen und stetig an ihr gebastelt, um so mehrere Problemlagen auf einmal zu entschärfen:

  • Nürnbergs Kunstszene fehlen Räume.
  • Die Sparten Oper, Ballett und Orchester des Staatstheaters mit insgesamt rund 800 Mitarbeiter:innen brauchen eine Ausweich-Spielstätte, während das Opernhaus am Richard-Wagner-Platz saniert wird.
  • Die Stadt sucht nach einem sinnvollen Umgang mit dem “nationalen Erbe” Kongresshalle, das bislang größtenteils leer steht.
  • Die Kongresshalle muss “langfristig haltbar” gemacht werden.
  • Museen, Schulen und andere Einrichtungen brauchen Lagerräume.
  • In das an den Dutzendteich angrenzende, neue Stadtviertel Lichtenreuth soll auch Kultur einziehen.

Konzertsaal als Opernhaus-Interim bei der Meistersingerhalle

Konzertsaal neben der Meistersingerhalle
Visualisierung der geplanten Außenansicht der Nürnberger Konzerthalle neben der Meistersingerhalle. Grafik: Super Future Collective Nürnberg, Johannes Kappler Architektur und Städtebau GmbH, Topotek 1 Architektur GmbH Berlin

Schon seit den 2000er Jahren ist klar, dass das Opernhaus dringend saniert werden muss. Gleichzeitig wurden immer wieder Rufe nach einem großen Konzertsaal für Nürnberg laut. 2020 war es dann soweit: Der Baubeginn des neuen Konzertsaals an der Meistersingerhalle, der nach Fertigstellung als Operninterim dienen sollte, stand kurz bevor. Die Orgel war schon bestellt.

Doch in der sprichwörtlich letzten Sekunde verwarf die neue Stadtverwaltung die Konzertsaal-Pläne. 2020 hatte die SPD die Kommunalwahl verloren, fortan übernahm Marcus König (CSU) das Amt des Oberbürgermeisters. Kurz nach den Wahlen brach der neu gewählte Stadtrat die Baupläne ab. Grund dafür war die Kostenexplosion des Saals. Der anfangs geschätzte Baupreis von rund 40 Millionen Euro hatte sich inzwischen auf 220 Millionen Euro mehr als verfünffacht. Das war den Stadträt:innen zu viel.

Weitere Alternativen: Schöller-Gelände oder Messe

Doch damit begann die Interim-Suche von vorne. 2021 kamen drei Standorte in die engere Auswahl: das ehemalige Schöller-Gelände, die Messe und die Kongresshalle. Die Wiederaufnahme der begrabenen Konzertsaal-Pläne war dagegen keine Option mehr.

Der Favorit der Verwaltung unter OB Marcus König und der Zweiten Bürgermeisterin Julia Lehner (CSU), die die Kultur zu ihrer Hauptaufgabe gemacht hatte, war da längst gefunden. “Ein Operninterim in der Kongresshalle ist ein klares Statement für die aktiv gestaltete Zukunft der Kulturstadt Nürnberg”, schrieb Marcus König 2021 in einem Brief an die zu Beginn noch zögerliche SPD-Fraktion.

“Es ist nicht unser Fehler, dass der Zeitdruck groß ist”

Für die Verwaltung musste jetzt alles ganz schnell gehen. „Jede Verzögerung vergrößert das Risiko einer plötzlichen Betriebsuntersagung der Oper”, so Marcus König in seinem Brief an die SPD. Diese wehrte sich gegen die Vorwürfe. “Es ist nicht der Fehler der Stadträte, dass der Zeitdruck jetzt so groß ist. Wir steuern nicht die Verwaltung”, konterte Ulrich Blaschke (SPD), der damalige Sprecher der Opernhauskommission, daraufhin in den NN.

Auf der Suche nach Mehrheiten für den Umbau der Kongresshalle nahm die CSU die Pläne der Ermöglichungsräume aus 2019 wieder auf und bewarb die Halle als einzigen zentralen Standort mit genug Platz, der sowieso saniert werden müsse. Kritik kam unter anderem vom Verein “Geschichte Für Alle“, der fröhliche Kunst und einen denkmalgeschützten NS-Prestigebau für unvereinbar hält.

Nationalsozialistische Gigantomanie

Fünf Stockwerke, acht Meter hohe Flure, drei Meter dicke Außenwände. 90.000 Quadratmeter Fläche in Hufeisenform plus 25.000 Quadratmeter Innenhof. Eine Fassade aus Granit und vierfach gebrannten Ziegeln, eine drei Meter dicke Betonplatte als Fundament und mehr als zehn Meter lange Grundpfeiler. Diese Daten des NS-Monumentalbaus machen schon deutlich, womit es Baufirmen und Architekt:innen hier zu tun haben.

1935 war der Grundstein gelegt worden, für das, was einst ein weiterer Standort der NS-Reichsparteitage für rund 50.000 Besucher:innen werden sollte. Beim Abbruch der Bauarbeiten 1940 waren 39 der geplanten 70 Meter Höhe erreicht, das vorgesehene Kuppeldach wurde nie gebaut. Zum Schutz vor Bomben und Bränden wurde das Dach des hufeisenförmigen Teils mit Dachpappe abgedeckt und dieser mit Zwischenwänden verstärkt. Sie bilden heute die Aufteilung des Baus in 16 Sektoren.

Kein Gedenkort, sondern ein Symbol des Scheiterns

Dicke Mauern, ein undichtes Dach mit brüchigem Holzgerüst, tiefe Schächte und plötzlich endende Wände – die Kongresshalle ist eine unfertige Ruine. Foto: Andrea Beck

Trotz des baulichen Aufwands und der Kritik an der neuen Nutzung entschied sich der Stadtrat im Dezember 2021 für die Kongresshalle als Kulturort und Ausweichspielstätte der Oper: Die Halle sei kein Mahnmal oder Gedenkort. Sie sei in ihrem unfertigen Zustand eher ein Symbol für das Scheitern des Nationalsozialismus und – anders als der Z-Bau (eine ehemalige SS-Kaserne) und die Oper am Richard-Wagner-Platz – nie von den Nationalsozialisten genutzt worden.

Die Kunst sei deshalb eine gute Möglichkeit, die Erinnerung zu bewahren und das seit Jahrzehnten leerstehende Überbleibsel der NS-Gigantomanie sinnvoll zu nutzen.

Zum Umgang mit dem Nazi-Erbe und der Frage, wie Erinnerungskultur heutzutage aussehen sollte, hat RR-Gründerin Alexandra Haderlein diese Recherche anlässlich des “Regenbogen-Präludiums” geschrieben.

Kostenexplosion könnte Vorhaben schmälern

Zu Beginn der Planung vor drei Jahren glänzte die Vision von einer ganz neuen Kongresshalle noch im Sonnenschein. Inzwischen hat sich die Euphorie etwas gelegt. Foto: Thomas Geiger

Drei Jahre nach Planungsbeginn zeigt sich, was zwischen Nürnberg und der Vision des Kunstortes Kongresshalle steht: Die harte und unkreative Realität – die noch massive Einsparungen mit sich bringen könnte.

Eine erste Kostenschätzung des Projekts über 244 Millionen Euro war im Oktober 2022 Grundlage für den Stadtratsbeschluss, der die nötigen Mittel freigab: Davon waren rund neun Millionen Euro für die Beseitigung von Schadstoffen vorgesehen, 42 Millionen Euro für den Ergänzungsbau (das Opern-Interim im Innenhof) und 160 Millionen Euro für den Ausbau der Kongresshalle. Davon sind 50 Millionen Euro für den Erhalt und die allgemeine Nutzbarmachung des Torsos nötig.

Die 33 Millionen Euro für den Ausbau der Lagerdepots wurden schon 2022 zurückgestellt. Erst wenn die Stadt Geld für sie übrig hat, sollen die Lager gebaut werden.

Kostendeckel vom Stadtrat 2022 beschlossen

Der Stadtrat folgte damals dem Vorschlag des ehemaligen Kämmerers Harald Riedel (SPD) und beschloss einen Kostendeckel von maximal 211 Millionen Euro für den Bau. Sollten die Kosten darüber hinausgehen, müsse man sich überlegen, was man einsparen werde. Rund 50 Millionen Euro (Stand: Mai 2024) will die Stadt selbst tragen. Für den Rest muss sie Förderer finden.

Wie bei Bauprojekten Kosten geschätzt werden

In frühen Planungsphasen können die einzelnen Posten nur geschätzt werden. Normalerweise zieht man dazu ähnliche Projekte an ähnlich alten Gebäuden heran und rechnet die Kosten pro Quadratmeter auf das eigene Projekt um, in dem Fall die Kongresshalle. Aufgrund der beschriebenen Größe und Unvollendetheit der einzigartigen Kongresshalle ist ein Vergleich äußerst schwierig.

Realistisch sind die geschätzten Baukosten bei öffentlichen Mega-Projekten sowieso selten: Baufirmen rechnen schlank, da sie sonst in den gesetzlich vorgeschriebenen Vergabeverfahren den Auftrag nicht bekommen. Während des Baus melden sie dann unerwartete Ausgaben. Und die staatlichen Auftraggeber setzen möglichst enge Fristen und niedrige Kosten an, da sie sonst keine Fördergeldgeber und keine Unterstützung in der Politik und bei den Bürger:innen finden. Eine realistische Kostenschätzung der Elbphilharmonie in Hamburg beispielsweise hätte ihren Bau wohl verhindert.

Auch in Nürnberg sind bereits zahlreiche Bauvorhaben aus dem Ruder gelaufen: Die Delfinlagune im Tiergarten, der Kopfbau des Künstlerhauses, die neue Stadtbibliothek und die Feuerwache an der Reutersbrunnerstraße ließen am Ende jeden Schätzpreis hinter sich. Passend zur Kongresshalle verteuern sich auch der aktuelle Umbau des Doku-Zentrums und die Sanierung der Zeppelintribüne.

Um Verteuerungen frühzeitig beizukommen, setzt die Stadt laut Kämmerer Thorsten Brehm (SPD) seit einigen Jahren auf klare Kontrollen: mit dem sogenannten Bau-Investitions-Controlling. “Erst, wenn die Kosten sauber kalkuliert wurden und ein ‘project freeze’ erfolgte, wird das Projekt in den Haushalt aufgenommen. Dann werden die Baupläne auch nicht mehr verändert.”

Nur Ausnahmen bestätigen die Regel: “Beim Opern-Interim mussten wir aufgrund des zeitlichen Drucks anders vorgehen und auch ohne vertiefende Planung Mittel in den Investitionsplan des Haushalts einstellen”, so Thorsten Brehm.

“Kostendeckel kann nicht eingehalten werden”

In seiner Sitzung am 17. Juli 2024 soll der Stadtrat entscheiden, wie es mit der Finanzierung der Kongresshalle weitergeht. Schon jetzt ist klar, dass die anfängliche Version des Kulturstandorts in naher Zukunft nicht erfüllt werden kann. Die Lagerräume sind zurückgestellt, von einer U-Bahn-Station ist keine Rede mehr. Was folgt als Nächstes?

Auf dem Zeitstrahl ist die Entwicklung des Vorhabens Kongresshalle Nürnberg hin zum Operninterim und den Ermöglichungsräumen für Kunst und Kultur abgebildet

Das Nürnberger Kulturreferat lässt in seiner Antwort an die Relevanzreporter durchblicken, dass es bei dem Kostendeckel von 211 Millionen Euro nicht bleiben wird. “Der Richtwert wurde 2022 beschlossen, insofern wird die Kostenentwicklung im Bauwesen zu berücksichtigen sein.” Aktuell könne das Referat noch keinen Preis nennen, da erst die Kostenberechnung für den Umbau des Torsos und den Ergänzungsbau vorliegen müssen. Beides soll im Juli zur Stadtratsentscheidung der Fall sein.

Unterstützung von Bund, Freistaat und der EU nötig

Fakt ist aber auch: Nürnberg kann die Kongresshalle nicht allein ausbauen. Die Stadt braucht Unterstützung von Bund, Freistaat und von der EU. Noch ist unklar, ob der Freistaat Bayern die beantragten 75 Prozent der Kosten für den Ausbau der Opernsektoren und den Ergänzungsbau (rund 80 Millionen Euro) übernehmen wird. Und das ist wahrscheinlich noch nicht einmal geklärt, wenn der Stadtrat im Juli tagen wird.

Kämmerer Thorsten Brehm (SPD) mahnt zur Vorsicht: „Die Vielzahl an anstehenden Bauprojekten wird den Stadthaushalt in den nächsten Jahren sehr belasten und ohne Ausgabendisziplin definitiv auch überfordern.”

Wer genau welche Summe beisteuern soll, wenn es nach der Stadt Nürnberg geht, hat selbige im Fördermittelkonzept zur Kongresshalle (Link zum PDF; Stand: März 2024) festgehalten. Und RR-Rathausreporterin Andrea Beck hat in ihrem Erklärstück zum Nürnberger Haushalt 2024 einen Überblick gegeben, über die großen Projekte der Stadt in den kommenden Jahren.

Dem erfolgreichen Umbau der Kongresshalle steht das Horror-Szenario für Verwaltung und Stadtrat von einem vorzeitigen Abbruch gegenüber – etwa falls sich das ganze Projekt massiv verteuert. Er ist zwar eher unwahrscheinlich, aber noch möglich. Günstigere Alternativen für ein Opern-Interim gibt es in jedem Fall.

Die ursprünglich für 2025 geplante Eröffnung hat die Stadt im vergangenen Jahr auf 2027 verschoben. Doch noch haben nicht einmal die Bauarbeiten begonnen, und die für den vergangenen Winter geplante Vergabe des Ergänzungsbaus steht immer noch aus. Jetzt, im Mai 2024, ist es schwer vorstellbar, dass Nürnbergs Oper in drei Jahren in die Kongresshalle umzieht.

Finanzielle Abstriche möglich – nur wo?

Ob und bis zu welcher Summe an der Kongresshalle als Opern-Interim festgehalten wird, ist vor allem eine politische Entscheidung. Stadtrat und Verwaltung könnten die Fertigstellung zur Priorität erklären. Für die andere Projekte, zum Beispiel der Ausbau des Frankenschnellwegs, Abstriche machen müssten.

Oder sie könnten die Pläne zur Kongresshalle ändern. Baureferent Daniel Ulrich nannte bereits 2022 die Ermöglichungsräume als Sparmöglichkeit. Das müsste der Stadtrat allerdings beschließen, denn aktuell sind die Räume für die freie Szene fester Bestandteil der Planungen. Das Kulturreferat von Bürgermeisterin Julia Lehner (CSU) lehnt die Spar-Idee (noch) ab. “Das besondere Potenzial des Standorts Kongresshalle kann sich erst durch das Zusammenwirken der vor Ort aktiven Institutionen entfalten”, schreibt das Referat auf Anfrage der Relevanzreporter.

“Die Ermöglichungsräume sterben, wenn die Oper zu teuer wird”

Der Nürnberger Verein BauLust – eine Initiative, die sich für Diskussionen über Baukultur einsetzt – ist nicht von dem Umbau der Kongresshalle überzeugt. Die Vorsitzende Brigitte Sesselmann nimmt gegenüber den Relevanzreportern kein Blatt vor den Mund: “Wir sprechen von einem Bauwerk, das aus einem unfertigen Labyrinth aus Fluren, Treppen und WCs besteht und für die angedachte Nutzung ungeeignet ist.”

Der Zuschnitt der Räume passt laut Brigitte Sesselmann nicht zu dem Vorhaben. Der
Aufwand, sie zu Büroräumen und beheizbaren Ateliers umzubauen, sei gigantisch. “Das Ganze wird lange dauern und sehr teuer werden.”

Ein Sparen an den Ermöglichungsräumen schließt Brigitte Sesselmann nicht aus. “Die Stadt hat sich eine Hintertür offengelassen: Die Oper hat Priorität. Das heißt, die Ermöglichungsräume können sterben, wenn die Oper zu teuer wird.”

Herausforderungen, die den Zeit- und Kostenplan ins Wanken bringen könnten:

  • Nürnbergs finanzielle Lage
  • die lange Verfahrensdauer zur Förderung öffentlicher Bauprojekte
  • Zustand und Dimension der Kongresshalle – eine nie fertiggestellte Ruine
  • Zeitdruck durch die drohende Schließung der bestehenden Oper, da diese dem Brandschutz nicht mehr genügt
  • Inflationsbedingte Kostensteigerungen und geschönte Schätzungen im Baugewerbe

Einfache Umnutzung der Rohbau-Ruine nicht möglich

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es viele Ideen, was man mit dem riesigen Gebäude alles anstellen könnte. Ein Fußballstadion und ein Einkaufszentrum waren geplant. Für beide Ideen fanden sich nicht genug Investoren.

Die 90 Jahre alten Abwasserleitungen in der Kongresshalle sind noch nutzbar. Insgesamt mangelt es aber an ausreichend Strom- und Wasseranschlüssen im Haus. Foto: Andrea Beck

Es ist eine Herausforderung für alle Beteiligten, das halbrunde Überbleibsel des nationalsozialistischen Größenwahns in der Gegenwart zu nutzen. Denn der erhaltene Torso ist eigentlich nur das Treppenhaus zur nie gebauten Veranstaltungshalle – dem heutigen Innenhof. Den Architekten der Nazis, Paul Ludwig Trost und Albert Speer, ging es bei der Planung des Gebäudes um eine einschüchternde Wirkung. Die Flure und Treppen sollten 50.000 Besucher:innen fassen – aber sie waren nicht als Verwaltungsbüros, Ateliers oder Tonstudios gedacht.

Für die moderne Nutzung fehlt es (noch) an allem, ob Stromleitungen, Heizungen oder Internetanschluss. Was schon besteht, ist marode: Mehrmals im Jahr brechen alte Wasserleitungen.

Unmut über Container-Lösung für Polizei und Schausteller im Frühjahr 2024

Von 1972 bis 2006 nutzte das Versandhaus Quelle das Rondell als Lager. Der Innenhof war ein Abstellplatz für abgeschleppte Autos. Mehr als 100 Dienststellen, Vereine und Firmen hatten bis 2023/24 Lagerflächen im Torso gemietet. Die Stadt hatte ihnen wegen der Arbeiten für das Opern-Interim gekündigt. Unmut gab es dabei, als die Stadt der Polizei und dem Schaustellerverband zum Frühjahrsfest 2024 eine Millionen-schwere Container-Lösung als neue Heimat anbot – während andere Gruppen eigenständig und auf eigene Kosten neue bezahlbare Lagerstätten suchen mussten.

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Mehr dazu in der kurzen Kolumne zu den Containern von RR-Gründerin Alexandra Haderlein, die im Frühjahr 2024 im Newsletter-Wochen-Update für Mitglieder erschienen war.

Jedenfalls: Weder für die ehemaligen Lagerstätten noch für die Nutzung des Innenhofs waren teure Sanierungsmaßnahmen nötig. Die Kongresshalle ist somit rund 80 Jahre lang ein Rohbau geblieben, den die Tier- und Pflanzenwelt stellenweise zurückerobert hat.

Ob ein paar Glaswände und Bretter reichen?

Die Vision des Architektenbüros Von Gerkan, Marg und Partner (Grafik links) auf einer Staffelei vor Ort. Foto: Giuseppe Troiano

Die Stadt hat nicht zuletzt deshalb 2020 eine bauliche Machbarkeitsstudie zur Umsetzung der Ermöglichungsräume durchführen lassen. Sie zeigt angeblich, dass die Räume der Kongresshalle geeignet sind.

Visualisierungen des Berliner Architekturbüros Von Gerkan, Marg und Partner, das den Innenausbau der sechs Opern- und vier Ermöglichungssektoren plant, zeigen die originalen Ziegelwände der hohen Räume. Ein paar Glaswände hier und ein paar Holzbretter da, und schon werden aus den ehemaligen Gängen Kunststätten.

Das Baureferat der Stadt Nürnberg listet dagegen in einem Sachstandsbericht zur “Nutzbarmachung” des Rundbaus im März 2024 zahlreiche Risiken auf, die den Umbau verzögern und verteuern könnten. Diese Aufzählung ist Pflicht, um Förderanträge stellen zu können.

Alternativen für eine günstigere Interimslösung

Doch was nun? Festhalten an einer immer teurer werdenden Interims-Lösung, selbst wenn dafür Teilprojekte wie die Ermöglichungsräume dem Rotstift zum Opfer fallen? Hoffen, dass, wie bei der Elbphilharmonie in Hamburg, die Euphorie irgendwann ein Deckmäntelchen über die Kritik legen wird? Oder doch nochmal offen sein für Alternativen – wenngleich die geplante Stadt-Umland-Bahn (StuB) von Nürnberg nach Erlangen zeigt, wie zäh, schwierig und womöglich auch endlos solche Diskussionen dann werden?

Der Verein Baulust fordert trotz der fortgeschrittenen Kongresshallen-Planung die Prüfung von Alternativen für einen Opern-Standort: “Wir hätten uns ein echtes Interim gewünscht, also eine kostengünstige Zwischenlösung”, sagt Brigitte Sesselmann. Mögliche Standorte seien zum Beispiel große leerstehende Gebäude oder brachliegende Flächen in Nürnberg.

Blick nach München

Dass günstigere Alternativen möglich sind, hat die Stadt München gezeigt: Als Ersatzbau für die nötige Generalsanierung des Kulturzentrums Gasteig baute die Stadt für 43 Millionen Euro und innerhalb von 1,5 Jahren das Interim Isarphilharmonie, das damit die Pläne voll erfüllte. Zum Vergleich: die Nürnberger Kongresshalle hat zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels einen Kostendeckel bei 211 Millionen Euro und wird diesen nicht halten können.

In München kommt die Akustik des neuen Gebäudes, das 1900 Gästen Platz bietet, so gut an, dass die geplante “Zwischenlösung” wohl auf Dauer genutzt werden wird. Die Macher dort: das Architektenbüro Von Gerkan, Marg und Partner, die gerade in Nürnberg an der Kongresshalle planen.

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