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Lilien Wege geb. Zeljko

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Nürnbergs Klimaanlage ist aus Holz – und genauso zerbrechlich

Von: Lilien Wege geb. Zeljko

Lesezeit: 5 Minuten

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Große Teile des Nürnberger Reichswaldes und des Südlichen Reichswaldes sind sogenannter Bannwald. Eine besonders geschützte Fläche, die für eine Großstadt wie Nürnberg wichtige Funktionen hat. Doch was machen wir Menschen daraus?

In Bayern werden wie in anderen Bundesländern immer mehr Flächen versiegelt, das heißt: Straßen, Wohn- und Industriegebiete sowie sämtliche weitere vom Menschen stark beanspruchte Orte werden an dessen Bedürfnisse angepasst. Wir pflastern und betonieren was das Zeug hält. Dadurch werden die natürlichen Böden undurchlässig oder ganz abgedichtet. Die Folgen: Normalerweise kann bei Regen Wasser im Boden direkt versickern und somit relativ schnell abfließen. Bei den zubetonierten und asphaltierten Böden müssen dafür Abwasserkanäle, Regenwasserbecken und weitere Leitungen gebaut werden, damit wir nicht in Pfützen stehen oder durch überflutete Straßen waten. Der natürliche Wasserkreislauf wird behindert.

Die Klimakrise strapaziert die eh schon unausgeglichenen Böden in der Stadt noch weiter: Durch extreme Trockentage im Sommer trocknen sie aus, versanden und können dann bei Starkregen die großen Wassermengen kaum bis gar nicht mehr so schnell aufnehmen. Eine Herausforderung für die städtische Kanalisation. Der Grundwasserspiegel in unserer Region ist aus all diesen Gründen zum Teil bereits stark abgesunken. Mehr dazu auch im Artikel Wie steht es um das Nürnberger Grundwasser? unserer Reporterin Lisa Vogel.

Ohne Klimaschutz düstere Prognosen für das Hitzeland Franken

Das bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) hat in seinem Klimareport 2021 betont, dass Bayern vom Klimawandel unterschiedlich stark betroffen sein wird. Die Studie, die am 24. Februar 2022 vorgestellt worden ist, teilt den Freistaat in sieben Klimaregionen ein. Die geografischen Besonderheiten wie beispielsweise die Alpen oder auch die Donau wirken sich natürlich auf das Klima regional stark aus. So ist der Großraum Nürnberg vor allem von der Donau beeinflusst – man nennt unsere klimatische Region auch Donauregion. Die Karte und den ausführlichen Bericht zum Downloaden findest Du hier

Übrigens kleines Expertenwissen für Dich: Erlangen liegt nicht mehr in der Donauregion, sondern wird von der Mainregion beeinflusst. Die Universitätsstadt liegt am Rande des mittelfränkischen Beckens an der Regnitz, im Vergleich zu Nürnberg also tiefer. Und hier haben wir wohl andere Wettereinflüsse: Denn in Erlangen kommt es laut unseren Redaktionsmitgliedern öfter vor, dass es dort regnet, während in Nürnberg zeitgleich die Sonne scheint. 

Für unsere Region bedeutet das laut dem Klima-Report 2021, dass wir im Allgemeinen in einer eher trockenen Gegend leben: Viele sonnenreiche Tage, eher weniger Niederschlag und bis zu fünf Hitzetage im Sommer (für den Referenzzeitraum von 1971 bis 2000). Bereits zwischen 1951 und 2019 war aber ein Trend abzulesen, der nach oben zeigte. Ein Beispiel: Vergleicht man den oben genannten Referenzzeitraum mit dem Zeitraum von 1990 bis 2019 kann man aus der Analyse-Tabelle herauslesen, dass wir hier bereits knapp fünf Hitzetage mehr haben als im erstgenannten Zeitraum (Tabelle im Klima-Report auf Seite 18). Auch unsere Durchschnittstemperaturen für die einzelnen Jahreszeiten steigen: Für die Sommermonate von Juni bis August sind allein im Zeitraum von 1971 bis 2000 bereits durchschnittlich 1,1 Grad mehr gemessen worden.  

Klimamodelle für Nürnberg und die Region

Jetzt werden die bisherigen Daten mit sogenannten Klimamodellen hochgerechnet. Versucht die Politik in Bayern und natürlich auch in den Kommunen das „Zwei-Grad-Ziel“ einzuhalten, also dass die Durchschnittstemperaturen nicht mehr als zwei Grad ansteigen, dann sieht es für Nürnberg folgendermaßen aus bei den Sommertemperaturen: In der nahen Zukunft (von heute bis 2050) ergibt sich eine Spanne von 0,6 bis 2,3 Grad Celsius. Am Ende des Jahrhunderts könnte die Durchschnittstemperatur bei 0,8 bis 2,1 liegen.

Ändern wir unser Handeln nicht (weitere Emissionen, keine klimabewusste Stadtpolitik), müssen wir bis zum Jahre 2050 mit einer Steigerung der durchschnittlichen Sommertemperaturen von 0,9 bis 2,7 Grad Celsius rechnen. Noch dramatischer sieht es dann in der sogenannten fernen Zukunft aus (von 2071 bis 2100), hier klettern die Durchschnittstemperaturen in den Monaten Juni bis August von 3,8 bis 5,6 Grad Celsius.

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Von daher sind grüne Oasen lebenswichtig – auch für unser Stadtklima und damit auch den Klimaschutz im Allgemeinen. In Nürnbergs mittelalterlich geprägter Innenstadt mit dich bebauten, schmalen, versiegelten Gassen gibt es keinen wirklichen Park. Solche sind erst später außerhalb der Altstadt entstanden und auch von recht überschaubarer Zahl und Größe. Als Industriestadt bieten wir außerdem viele ausgebaute Flächen für Unternehmen und deren Zulieferverkehr.

Knapp acht Stunden drum herum fahren

Eine Mountainbikerin auf Sandweg in der Röthenbachklamm im Nürnberger Reichswald. Foto: Thomas Geiger

Umso wichtiger ist der Nürnberger Reichswald drum herum: Er bildet mit 240 Quadratkilometern eine der größten zusammenhängenden Waldflächen, die in unmittelbarer Nähe einer deutschen Großstadt liegen. Dazu kommt noch der sogenannte Südliche Reichswald, der nicht zum Nürnberger Stadtgebiet gehört und vor allem in Privatbesitz ist. Aus beiden ergibt sich eine zusammenhängende Fläche von 360 Quadratkilometern, die sich vom Norden um Nürnberg herum über den Osten bis weit in den Süden erstreckt.

Weil man sich solche Größen nicht wirklich vorstellen kann, gibt es im Internet verschiedene Rechentools. Hier Zum Beispiel eine witzige Variante für eine Fläche von 360 Quadratkilometer: Das entspricht einer Fläche von 16,7 Mal der Größe des Frankfurter Flughafens oder 44,2 Mal der Fläche des Schlossparks von Versailles oder 103,1 Mal der Fläche des Central Parks in New York City.

Seit 1980 gesetzlich geschützt als Bannwald

Die größten Flächen des Nürnberger Reichswaldes sowie der größte Teil des Südlichen Reichswalds wurden 1980 zum sogenannten Bannwald erklärt, eine Verschärfung des Bayerischen Waldgesetzes. Vorausgegangen war eine große Waldrettungs-Aktion Ende der 1970er Jahre. Der Rangierbahnhof in Nürnberg sollte modernisiert werden und in Forstgebiete im Nürnberger Süden (bei Wendelstein und Schwanstetten) ausgelagert werden. Massive Proteste in der Bevölkerung unterstützt vom Bund Naturschutz verhinderten diese Verlegung und führten schließlich 1985 zur Ernennung dieses Forstes zu einem Bannwald.

Von den rund 360 Quadratkilometern des Reichswaldes sind 320 Quadratkilometer (oder 32.000 Hektar) besonders geschützt. Seit der Verschärfung des Gesetzes in den 1980er Jahren konnte die Fläche, so wie Du sie heute kennst, mehr oder weniger erhalten bleiben, da Rodungen erschwert worden sind und – einfach ausgedrückt – für jeden gefällten Baum ein neuer gepflanzt werden muss. Einen Bannwald kann man also nicht so einfach abholzen. Das Bayerische Waldgesetz sagt dazu konkret: “Die Erlaubnis zur Rodung im Bannwald kann nur unter den engen Voraussetzungen des Artikels 9, Absatz 6, Satz 2 des Bayerischen Waldgesetzes erteilt werden, das heißt im Fall einer Rodung muss direkt angrenzend an den vorhandenen Bannwald Wald neu begründet werden, der hinsichtlich seiner Ausdehnung und seiner Funktionen dem zu rodenden Wald annähernd gleichwertig ist oder gleichwertig werden kann.”

Das versteht man unter “Bannwald”:

Dabei handelt es sich um Wald, der aufgrund seiner Lage vor allem in städtischen Ballungsräumen und waldarmen Gegenden unersetzlich ist. Dieser Wald sorgt für ein ausgeglicheneres Stadtklima, bietet Erholungsraum für die Menschen, Lebensraum für Tier-, Pflanzen- sowie Insektenarten und wirkt sich positiv auf Wasserhausalt sowie Luftreinigung der Stadt aus. Damit hat er also für eine Stadt eine “außergewöhnliche Bedeutung” wie es im Bayerischen Waldgesetz heißt, und wird deshalb auch besonders geschützt. Mehr Informationen findest Du übrigens auch auf der Webseite des Umweltamtes der Stadt Nürnberg.

Doppelt geschützt: Natura2000-Gebiet

Die Röthenbachklamm im Nürnberger Reichswald. Foto: Thomas Geiger

Außerdem wurde der Nürnberger Reichswald als Natura2000-Gebiet ausgerufen, ein Schutzgebiet vom europäischen Rang: Die Europäische Union stellt seit 1992 zusammenhängende Regionen unter besonderen Schutz – auch länderübergreifend, um vor allem gefährdete, wildlebende, heimische Pflanzen- und Tierarten in ihren natürlichen Lebensräumen zu erhalten. Natura2000-Gebiete werden gesetzlich durch die Fauna-Flora-Habitat- sowie die Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union definiert. Was genau bei uns nun so schützenswert ist? In unseren Wäldern kannst Du mit etwas Glück Vögel wie Spechte, Ziegenmelker, Heidelerchen, Habichte und Eisvögel beobachten. Und in den Höhlen sowie Löchern von Tot- oder Altholz haben stark bedrohte Arten ihre Wohnzimmer, wie der seltene Juchtenkäfer (auch Eremit genannt), der das Totholz abbaut und in fruchtbaren Boden umwandelt, oder auch die Bechsteinfledermaus, die ihren Lebensraum vor allem in zusammenhängenden Wäldern hat.

Stetes Abwägen

Der Bannwald und alle kleinen grünen Anlagen in der Stadt sind also enorm wichtig als Lebensraum für Flora und Fauna, als Naherholungsgebiet und Lärmschutz für uns Städter:innen, als Wasserspeicher, Schadstofffilter, Sauerstoffgenerator und ganz banal als hölzerne Klimaanlage der Nürnberger:innen für die bevorstehende Klimakrise. Schließlich sorgt der Wald für den Temperaturausgleich und damit die nötige Abkühlung der Stadt in den immer heißer werdenden Sommern.

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Löschen

Schützen kann all das (neben achtsamen Privat-Waldbesitzer:innen) nur die Regierung von Mittelfranken. Sie muss stets abwägen und aufs Neue entscheiden, ob “der gesellschaftliche Grund” wie es im Bayerischen Waldgesetz heißt, tatsächlich überwiegt, damit das Staatliche Forstamt in diesem hochsensiblen und wichtigem Areal überhaupt Bäume fällen darf. Schon immer ein heikles Thema – erst recht jetzt, wo die Suche nach einem neuen ICE-Werk neue Fahrt aufnimmt: Am 4. Mai 2022 ist hierfür das sogenannte Raumordnunsgverfahren eröffnet worden, bei dem die Regierung von Mittelfranken nun zehn Wochen lang drei infrage kommende Gebiete im Nürnberger Bannwald als Standort prüft. Übrigens kannst auch Du selbst die zugehörigen Unterlagen einsehen: Das rund 2000 Seiten starke Dokument wird auch bei der Stadt Nürnberg ausliegen: vom 1. bis 30. Juni 2022 im Stadtplanungsamt, Lorenzer Straße 30.

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